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Kategorie: Arbeitskreise
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Große Bühne für Mundart-Sprecher

Der "Plattdütsch-Oavend" des Wassenberger Heimatvereins bot 16 Akteuren wieder ein Forum für ihre Geschichten, Erinnerungen und Gedanken in regionaler Mundart. Nicht nur Wassenberger, sondern auch Gäste traten auf. Von Philipp Schaffranek

Man erkennt es an der Aussprache. Theo Jessen kommt nicht aus Wassenberg. Der Überraschungsgast beim "Plattdütsch-Oavend" des Heimatvereins kommt aus Töddere (Tüddern). Also aus dem Selfkant, wo das Plattdeutsche leicht niederländisch ist. Interessiert hören die vielen Zuhörer in der Begegnungsstätte dem Tüdderner zu, wie er vom "Selfkantland" erzählt. Das macht er humorvoll. Den Selfkant bezeichnet er in seinem kurzen Vortrag als das Ende der Welt, wo die Dörfer im Feld liegen und die Kirchen spielzeugklein sind. Dafür gebe es aber schöne grüne Bäume, so dass es auch bei Regen schön sei.

Viele Wassenberger Akteure, aber auch Gäste aus anderen Gemeinden im Kreis Heinsberg, sorgten wieder für einen kurzweiligen Mundartabend, der beliebten Traditionsveranstaltung beim Heimatverein Wassenberg. FOTO: Uwe Heldens
Viele Wassenberger Akteure, aber auch Gäste aus anderen Gemeinden im Kreis Heinsberg, sorgten wieder für einen kurzweiligen Mundartabend, der beliebten Traditionsveranstaltung beim Heimatverein Wassenberg. FOTO: Uwe Heldens

Der "Plattdütsch-Oavend" des Wassenberger Heimatvereins fand nun bereits zum 20. Mal statt. Seit einigen Jahren organisiert Walter Bienen - liebevoll "Arangschöer van d'r Plattdütsch-Oavend" genannt - die bei vielen jährlich fest im Terminkalender eingeplante Veranstaltung. Dann wird einen Abend lang nur Plattdeutsch gesprochen. In der Sprache, mit der viele Besucher des Abends aufgewachsen sind, werden kurzweilige Geschichten, Gedichte oder Musikbeiträge vorgetragen. Auch dieses Mal bauten 16 Plattdeutsch-Sprecher gerne Anekdoten und Pointen in ihre Vorträge ein. Damit erinnern sie an alte Zeiten oder berichten von neuen Erfahrungen und pflegen die Mundart-Tradition. Doch Plattdeutsch ist nicht gleich Plattdeutsch. Es gibt lokale und regionale Unterschiede, wie Überraschungsgast Theo Jessen zeigte.

Während die meisten Jessen allerdings noch sehr gut verstanden, war dies beim zweiten Gast des Abends anders. Der niederländische Kolumnist Jan Schuuren aus Linne, trug zwei seiner circa 600 Texte vor, die er mittlerweile in niederländischem Platt verfasst hat. Sein Text "sjebuunder" handelte von Scherzbolden und deren Charakteristika.

Mit Agnes Winkens aus Myhl stand dann ein echtes Original des "Plattdütsch-Oavends" auf der Bühne. Die mittlerweile 90-Jährige hat seit 1998 nur einen Abend verpasst. In "Deä aue Pott" erzählte sie aus der Perspektive eines Wassereimers aus dem 19. Jahrhundert über den Wandel der Zeit. Als er gebaut wurde, seien die Menschen noch schneller zufrieden gewesen. Damals hätte beispielswiese nicht jeder einen eigenen Wasseranschluss gehabt. Der Wassereimer wünsche sich nun, dass die Menschen wieder ein bisschen mehr Zeit hätten.

Rudi Erdweg aus Karken sprach über "Et Handy" und die Probleme, die Rentner mit den vielen neuen fortschrittlichen Techniken hätten. Magda Hausmanns - ebenfalls aus Karken - erzählte, wie ein Mann einen "jo-e Verjliek" (guten Vergleich) heranzog, um den Pastor zu überzeugen, dass er freitags kein Fleisch gegessen und somit nicht gesündigt habe. Unterhaltsam war die Geschichte von Uli Fischer, der erzählte, wie er als Feuerwehrmann einmal "Räenge" für einen Film "jemackt hau". Zu Gast war auch wieder Georg Wimmers vom Heimatverein Beeck mit seiner Trachtengruppe, die flotten Sprüche rund um den Flachs kamen an. Walter Bienen selbst erzählte von einem Besuch bei "Ohme Hennes".
Zum Abschluss des Abends stimmte Karl Lieck, der den Plattdeutsch-Abend lange Zeit moderierte, das Lied "Wasseberch, ech han dech jäer" an. Bereits zuvor hatte er wie in jedem Jahr ein neues Lied vorgetragen. Dieses Mal erinnerte er, begleitet von Hilde Erards an der "Treckmonika", an die St. Martins-Erfahrungen seiner Kindheit.

Quelle: RP vom 10.11.2016

Programmheft


Anekdoten über Heimat und gelebtes Leben

Beim Plattdeutsch-Abend in der Begegnungsstätte erleben die Besucher vergnügliche Stunden. Über die Stadtgrenzen hinaus. Von Johannes Bindels

Wenn ein Abend lang Geschichten „ej en Moddersproak“ erzählt werden und „D´r Arangschöer“ Walter Bienen heißt, dann ist wieder „Plattdütsch-Oavend“ in der Begegnungsstätte in Wassenberg. Mehr als 200 Gäste waren gekommen und freuten sich auf unterhaltsame Beiträge in ihrer Muttersprache, dem regionalen Plattdeutsch.

Die Freunde des Plattdeutsch sind wie die Vortragenden in die Jahre gekommen. Ein Kulturgut wird gepflegt, das gefährdet erscheint und dem der Nachwuchs fehlt.

16 Vortragende

Heimat, Lebensgefühl und gelebtes Leben spiegelten sich beim Plattdeutsch-Abend in den Anekdoten, den Erzählungen und in den in Reimform vorgetragenen Erinnerungen wider. 16 Vortragende gestalteten wieder einen vergnüglichen Abend. Die Überraschungsgäste Rudi Erdweg (Karken) mit seiner Geschichte „Jo Botter“ über die veränderte Bedeutung der Butter als Genussmittel und das Gesangsduo Heinz Schlömer und Georg Wimmers (Wegberg- Beeck) mit dem „Klompenlied“ belegten das Verbindende des heimatlichen Dialekts über die Stadtgrenzen hinaus.

Kurzweiliger Beitrag beim Plattdeutsch-Abend: Rudi Erdweg und seine Geschichte zur „Jo Botter“. Fotos (2): Johannes Bindels
Kurzweiliger Beitrag beim Plattdeutsch-Abend: Rudi Erdweg und seine Geschichte zur „Jo Botter“. Fotos (2): Johannes Bindels

Aus der Kindheit

Überraschend am Überraschungsgast Karl Bertrams (Wegberg) war lediglich, dass er diesmal im Duett mit Klaus Bürger (von de Berker Klengerstuev) die deftigen Lebensphilosophien von „Minne Papp sinne Vadder sinne Ohm“ zum Besten gab. Denn die deftige Lebensweisheit, sich mit einem kleinen Hintern nicht auf eine große Brille zu setzen, war gelebte Erfahrung des Spruchs „Schuster bleib bei deinen Leisten“.

Viele Beiträge hatten persönliche Erfahrungen als Grundlage – so auch bei Charly Deklerk (Myhl) mit seiner Geschichte „Kenn Schenkewuesch“, der Nachmitternachtswurst-Beschaffung aus der elterlichen Metzgerei, oder die der Brüder Leo Wilms und Bruno Wilms als Lausbuben in ihrer Kindheit, die mit ihrem Luftgewehr den bäuerlichen Nachbarn „Schützenhilfe“ leisteten.

Persönlicher Hintergrund: Charly Deklerk mit seiner „Wurstbeschaffungsgeschichte“.
Persönlicher Hintergrund: Charly Deklerk mit seiner „Wurstbeschaffungsgeschichte“.

Mit Uli Fischers Beitrag „so schönn, Soldat zu sinn“ wurde aus zeitlichem Abstand die eigene Grundwehrdienstzeit beleuchtet. Feingeistiger waren die Beiträge von Maria Gerards (Wildenrath) mit ihrer Geschichte von den Heiligen zu Allerheiligen und von Agnes Winkens, die in Reimform vortrug. Ebenso bewundernswert: die frei vorgetragene und selbstformulierte Ballade von Walter Windeln „Joot eate en Wasseberch“, in der er einen Stab brach für die Esskultur in Wassenberg. Mit Magda Hausmanns (Karken) „Ondank es der Welten Lohn“ und „bie der Psychiater“ kam exemplarisch zum Tragen, was gemeinhin als gesunder Menschenverstand bezeichnet wird. Und mit „jet luese Vertell“ brachte Lebensphilosoph Hans-Josef „Josch“ Kranz seine Erkenntnisse zum Besten und der Lebenswitz kam nicht zu kurz, denn wenn er „Gesichter machen könnte, hätte manch einer ein anderes“.

Zuvor hatte Walter Bienen mit seinem Beitrag „Wenn d‘r Verstank uutsätt“ von den Irrungen und Wirrungen verliebter alter Männer berichtet.

Karl Lieck und Hilde Eraerds mit der Ziehharmonika sorgten mit den Beiträgen „Vörr 70 bis 80 Joahr“ und zum Schluss mit „Wasseberch, ech han dech jäer“ für den musikalischen Rahmen.


 

Plattdeutsch-Oavend: Auf Hochdeutsch ist kein Wort zu hören

Von: Johannes Bindels

„D´r Baas van d´r Heimatverein, Sepp Becker, bejröößt de Fröng van ues Moddersproak öm sieve Uhr.“ Mit Hochdeutsch war am Plattdütsch-Oavend des Heimatvereins Wassenberg in der Begegnungsstätte am Pontorsonplatz nicht zu rechnen.

Mehr als 200 Gäste waren gekommen und freuten sich auf unterhaltsame Beiträge in ihrer Muttersprache, dem regionalen Plattdeutsch.

Sepp Becker freut sich über ein volles Haus beim Plattdeutsch-Oavend des Heimatvereins. Foto: Bindels

Walter Bienen moderierte als „Arangschöer“ den Programmablauf in den folgenden zwei Stunden. Die Überraschungsgäste Heinz Esser (Wegberg/Berg) mit seinen besinnlichen Beiträgen und Sjra Willems (Posterholt) mit deftigem Witz belegten das verbindende des heimatlichen Dialekts über Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Das gelang im Besonderen auch dem dritten Überraschungsgast, Karl Bertram (Wegberg/Berg), mit seinem humorvollen Beitrag „Mine Papp sine Vadder sine Ü-em – Mosjö Eenürke“ (der Onkel meines Großvaters: Herr Einohr).

Eine Geschichte über ein Original mit Erlebnissen aus dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und der Erkenntnis, dass „Franzür´sche Päet och maach blos een Vott hant“.

Fast alle Beiträge hatten persönliche Erlebnisse als Grundlage, so auch Charly Deklerk (Heinsberg/Myhl) mit seiner Geschichte als Schützenprinz, oder die der Brüder Leo Wilms und Bruno Wilms als Lausbuben in ihrer Kindheit. Mit feinem Witz erzählte Agnes Winkens (Wassenberg) vom Leben des Apothekers, der beim Salmiakpa-stillchen-Verkauf von Schülern genarrt wurde.

Nicht selten spiegelte sich in den Beiträgen auch das Leben wider, das nicht immer einfach war und von kargeren Zeiten berichtete. „Dä Hennestall“ (der Hühnerstall) von Uli Fischer konnte erst gebaut werden, nachdem auch die Kinder mitgeholfen hatten, die Steine aus dem Schutt von Resten frei zu klopfen. Offen blieb, ob die begeisternde Geschichte von Magda Hausmann (Karken) wahr gewesen ist, dass ein Nachbar mit stinkenden Füßen sich kostenlos ein paar Schuhe beim Schuhgeschäft erschleichen konnte.

Walter Windeln (Wassenberg) begeisterte mit seinem frei gesprochenen und selbstformulierten Gedicht zur gelebten Städtefreundschaft mit Pontorson (Met et Rad noer Pontorson).

Leo (Leke) Cremer (Birgelen) erzählte von seiner Erfahrung, dass nicht jede Urlaubsreise das hält, was versprochen wurde. Und die lehrreichen Gedanken von Maria Gerards (Wildenrath) zum Thema „Dütsch es en schwoere Sproak“ endeten in der Erkenntnis, dass Fremde zwar irgendwann Hochdeutsch könnten, aber selten Plattdeutsch. Walter Bienen berichtete darüber, dass früher auch die Nachbarn in die Erziehung eingriffen. Wie sich herausstellte, war das in seinem Fall Walter Windeln gewesen, der als Wiedergutmachung die Mitarbeit bei der Baumpflege herbeiführte.

Heinrich Thissen (Birgelen) berichtete ebenso „Uut oss Kengerjoere“ von Kindheitserlebnissen, bevor Karl Lieck (Wassenberg) mit seinem Wasseberch-Liedche traditionell den Programmablauf beschloss. Unter Begleitung von Herbert Gehlen (Hetzerath) am Akkordeon hatte Karl Lieck zuvor sein neues Lied „D´r Burchsteen“ unter viel Applaus vorgetragen.

Karl Lieck und Herbert Gehlen sorgten für die musikalische Untermalung der Veranstaltung. Foto: Bindels

 

Ein Höhepunkt für Mundartfreunde (Rheinische Post vom 7.11.2014)