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Kategorie: Geschichte
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Haus Alt Holland, Ende des 19. Jahrhunderts als Wald-Hotel gegründet, erlebte eine Geschichte als Hotel, Tanzlokal, Lazarett, Militärkommandantur. Von Angelika Hahn

Die aktuelle Ausstellung im Wassenberger Bergfried über die Seidenweberei Krahnen & Gobbers blättert auch ein interessantes Kapitel Sozialgeschichte der Stadt auf, zusammenhängend mit reger Bautätigkeit von Werkswohnungen und der Entwicklung der Wassenberger Oberstadt.

Eine besondere Rolle spielte Haus Alt Holland für das gesellschaftliche Leben der Stadt vor und kurz nach dem Krieg. Wassenbergs Heimatkundler Karl Lieck hat für die Ausstellung sein Wissen über Alt Holland zusammengetragen. Das Haus war schon bevor 1894 die Seidenweberei in der unteren Fabrik an der Erkelenzer Straße ihren Betrieb aufnahm, als "Wald-Hotel" in Besitz der Geschwister Graab bekannt - als "Treffpunkt der besseren Gesellschaft", wie es Heribert Heinrichs in seiner Wassenberg-Chronik ausdrückt.

Aus einer Waldwirtschaft wurde Ende des 19. Jahrhunderts das Wald-Hotel und spätere Gästehaus Alt Holland der Seidenweberei Krahnen & Gobbers. Etliche alte Postkarten aus der Sammlung von Sepp Becker vom Heimatverein Wassenberg zeigen das bekannte Hotel-Restaurant im
Aus einer Waldwirtschaft wurde Ende des 19. Jahrhunderts das Wald-Hotel und spätere Gästehaus Alt Holland der Seidenweberei Krahnen & Gobbers. Etliche alte Postkarten aus der Sammlung von Sepp Becker vom Heimatverein Wassenberg zeigen das bekannte Hotel-Restaurant im "Luftkurort Wassenberg".

1920 kaufte Krahnen & Gobbers das Hotel als Gästehaus für Geschäftspartner. 1928, so schreibt Lieck in einem Aufsatz über die Geschichte des Hauses, wird das Waldhotel total umgebaut und erweitert zu einem damals hochmodernen Kurhotel. Presseberichte von der Eröffnung schreiben von mehreren Tausend Gästen aus nah und fern und den Niederlanden und vielen Automobilen, aus denen vornehme Herrschaften stiegen. Kein Wunder: Hatte doch die Fabrik ihre Wurzeln am Niederrhein in Krefeld und zog entsprechend Publikum an. Und Wassenberg legte Wert auf den Zusatz Luftkurort, der auch auf alten Postkarten von Alt Holland zu lesen ist.

Eindrücke von Haus Alt Holland - dessen charakteristischer Namenszug noch heute auf dem Gebäude an der Erkelenzer Straße zu lesen ist - kurz vor und nach dem Krieg. Heimatvereinsvorsitzender Sepp Becker, einige Jahre jünger als Karl Lieck, erinnert sich daran, als kleiner Junge nach dem Krieg mit Freunden die feinen Damen in ihren Abendkleidern bewundert zu haben. "Wir haben uns um die Fenster herumgeschlichen. Das war für uns damals eine andere Welt." Das Restaurant besaß gediegene Gasträume, eine Terrasse und einen Festsaal, dessen Flucht am Eingangsweg zum Judenbruch immer noch erkennbar ist. FOTOS: Archiv des Heimatvereins










Lieck erlebte als Kind in den 1930er Jahren den Parkplatz neben dem Hotel oft voller schwarzer Luxuslimousinen. Ein damals bekanntes Original, Heinrich Jansen, "fungierte, mit grauer Uniform ausgestattet, als Parkplatzwächter, und die Fahrer polierten die Wagen ihrer Herrschaften. Für uns Kinder war all dies höchst interessant".

Im September 1944 wurde die Stadt Frontgebiet, aus den Hotelräumen wurde ein Hauptverbandsplatz für verwundete Soldaten der Rur-Front, der in enger Kooperation mit dem Lazarett im Marienhaus im Judenbruch stand. Liecks Aufsatz zitiert auch Zeitzeugen wie den früheren Wassenberger Stadtdirektor Walter Windeln, der Hilfsdienste an beiden Lazarettplätzen leistete. Eine weitere Station seiner wechselvollen Geschichte erlebte Haus Alt Holland nach dem Einzug alliierter Truppen in Wassenberg am 28. Februar 1945. Das Haus wurde Militär-Kommandantur, die das öffentliche Leben regelte, über Sperrstunden wachte und Betriebserlaubnisse aussprach.

Karl Lieck: "Gerne erinnere ich mich an die Kantine (Messe) für die britischen Soldaten, die sich kurz nach Kriegsende in den Restaurant-Räumen befand. Die Tommys, wie wir sie nannten, waren uns Kindern gegenüber meist großzügig. Wenn sie gut gelaunt waren, bekamen wir Kaugummis oder auch schon mal Schokolade. Zigarettenkippen, die die Soldaten wegwarfen, waren für uns sehr begehrt, denn aus drei Kippen konnte man eine Zigarette drehen, die wir für drei Reichsmark (RM) verkaufen konnten. Vor der Kantine standen oft Lieferwagen mit Lebensmitteln für die Küche. Die mutigeren Kinder versuchten, etwas vom Wagen zu stibitzen, denn Hunger war unser steter Begleiter."

Nach Kriegsende war Alt Holland Quartier der Sprengkommandos, die in Wassenberg und Umland viele Minen aufspürten und sprengten. "Von diesen Minensuchern ließen sich viele in der Stadt nieder, etliche arbeiteten später auf dem Wildenrather Flughafen", berichtete Lieck.

Ende der 40er Jahre wurde Alt Holland wieder Gaststätte und Veranstaltungssaal. 1947 hielt dort die Karnevalsgesellschaft "Nü-Wasseberch" ihre erste Kostümsitzung, später die KG Kongo. Auch der Theaterverein "Bühnenfreunde" aus der Oberstadt gab ab 1947 in Alt Holland seine Vorstellungen.

Lieck: "Allmählich entwickelte sich Alt Holland wieder zum Nobel-Restaurant, Treffpunkt der ,besseren' Gesellschaft.

Man sah wie vor dem Krieg die Nobelkarossen von nah und fern, auf der Stahl-Tanzfläche schwang man das Tanzbein, oft auf dem Klavier begleitet von Heribert Heinrichs, dem späteren Ehrenbürger unserer Stadt." Die Theaterbühnen Aachen und Neuss gastierten hier. Der Tennis-Club Blau-Weiß veranstaltete seine Bälle.

1958 wurde der Restaurantbetrieb eingestellt. In die Räume zog eine Näherei, später wurde das derzeit leider leerstehende Haus zu Wohnungen umgebaut.

Quelle: RP vom 16.1.2016


„Alt Holland”: Treffpunkt der feineren Gesellschaft

Schon bevor im Jahre 1894 — vor 121 Jahren — die Seidenweberei Krahnen & Gobbers in der unteren Fabrik an der Erkelenzer Straße ihren Betrieb aufnahm, existierte gegenüber am Eingang zum Judenbruch eine kleine Waldwirtschaft der Geschwister Graab aus Wassenberg.

„Alt Holland“ trug einst den Namen „Waldhotel“, wie dieses Motiv aus längst vergangenen Zeiten dokumentiert. (Archiv Karl Lieck)
„Alt Holland“ trug einst den Namen „Waldhotel“, wie dieses Motiv aus längst vergangenen Zeiten dokumentiert. (Archiv Karl Lieck)

Heribert Heinrichs beschreibt diese Waldwirtschaft als „Treffpunkt der besseren Gesellschaft“ (H.Heinrichs, „Wassenberg“, S. 361).

Ob die Waldwirtschaft von Beginn an den Namen „Waldhotel“ trug oder erst, nachdem die Firma Krahnen & Gobbers 1920 das Anwesen kaufte, ist mir nicht bekannt. Das Haus wird aber Krahnen & Gobbers als Gästehaus für ihre Geschäftspartner gedient haben. Die Heinsberger Zeitung schreibt am 3. November 1919: „Das Waldhotel hierselbst ist durch Kauf in den Besitz der Firma Krahnen & Gobbers, mech. Seidenwebereien übergegangen. Hoffentlich wird es seinem jetzigen Zweck erhalten bleiben.“

Im Frühjahr 1928 wird das Waldhotel total umgebaut, mit einem Erweiterungsbau versehen und zu einem hochmodernen Kurhotel eingerichtet. Am 1. Mai 1928 ist es so weit: Das bisherige Waldhotel der Firma Krahnen & Gobbers wird unter dem Namen „Alt-Holland“ neu eröffnet. Die Heinsberger Zeitung berichtet am 4. Mai 1928: „Am 1.Mai fand morgens 11 Uhr die Eröffnung der Gaststätte „Alt Holland“, früher Waldhotel, statt. Der Festakt, dem der Bürgermeister von Wassenberg, der Gemeindevorsteher, der Direktor der Firma Krahnen & Gobbers beiwohnten, gestaltete sich recht eindrucksvoll. Der neue Inhaber, Herr Wexler, brachte bei seiner Begrüßung zum Ausdruck, dass er alles dafür tun werde, damit Wassenberg als Luftkurort seinen alten Ruf wieder erlangt. Bis zum späten Abend besuchten mehreren Tausend Gäste aus Nah und Fern, darunter auch viele aus dem benachbarten Holland, das neu eröffnete Hotel „Alt Holland“. Dabei wurden mehr als hundert Pkw gezählt, überaus viele, wenn man bedenkt, dass in Wassenberg zu dieser Zeit vier oder fünf Personenwagen liefen.“

Ein besonderer Gruß aus dem Luftkurort Wassenberg.
Ein besonderer Gruß aus dem Luftkurort Wassenberg.

Meine eigenen Erinnerungen an „Alt Holland“ in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg beschränken sich darauf, dass in den 1930er Jahren an den Wochenenden der Parkplatz neben „Alt Holland“ voller schwarzer Luxuslimousinen von wohlhabenden Besitzern stand. Heinrich Jansen vom „Stern“ fungierte, mit entsprechender grauer Uniform ausgestattet, als Parkplatzwächter und die Fahrer polierten die PKW ihrer „Herrschaften.“

Kurz vor dem Krieg — 1938 — wurde rechts neben Alt-Holland ein Westwallbunker gebaut, über den zur Tarnung die Attrappe eines Wohnhauses errichtet wurde. Als die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg mehr und mehr zunahmen, wurde er zeitweise für die Zivilbevölkerung geöffnet.

Wassenberg wurde im September 1944 Frontgebiet und die deutsche Wehrmacht richtete in den Räumen von „Alt Holland“ den Hauptverbandsplatz für die verwundeten Soldaten der Rur-Front ein. Agnes Coenen-Thelen, die als Helferin zum Lazarett der Wehrmacht im Marienhaus dienstverpflichtet wurde, berichtete mir: „Die kriegsverwundeten Soldaten und Zivilpersonen versorgte man zunächst in „Alt Holland“. Dann wurden sie zur weiteren Behandlung zu uns in das Lazarett gebracht.“

Am Hauptverbandsplatz in „Alt Holland“ tat auch der stellvertretende Divisionspfarrer Edelbert Hähner Dienst. Heribert Heinrichs schreibt über ihn in seinem Wassenberg-Buch: „Manchmal wurde Pater Hähner zu Todeskandidaten für ein letztes priesterliches Gespräch (zum Gestapogefängnis in Effeld) gerufen.“

Walter Windeln erinnert sich, dass er Pater Hähner als Messdiener oft zu den Beerdigungen auf dem Soldatenfriedhof begleitete. Er selbst sowie Arnold Klothen, Josef Gerhards und Peter Stein leisteten als 16-jährige Schüler Hilfsdienste an den beiden Lazarettplätzen „Alt Holland“ und Marienhaus, wie Karin Klimmeck am 28. September 1991 in der HVZ schreibt. Pater Hähner wurde von den Alliierten am 17. März 1945 als Bürgermeister von Wassenberg eingesetzt (bis 17.8.1945).

Nach dem Einzug alliierter Truppen in Wassenberg am 28. Februar 1945 wurde in „Alt Holland“ deren Militär-Kommandantur eingerichtet, die zunächst das öffentliche Leben in unserer Stadt regeln sollte, wie Sperrstunden oder Betriebserlaubnis. Besonders streng achteten die Briten auf die Einhaltung der Sperrstunde — zunächst ab 18 Uhr. Mit der Zeit lockerten sich die Bestimmungen.

Großzügige „Tommys”

Gerne erinnere ich mich an die Kantine (Messe) für die britischen Soldaten, die sich kurz nach Kriegsende in den Restaurant-Räumen von „Alt Holland“ befand. Die „Tommys“ waren uns Kindern gegenüber meist großzügig. Wenn sie gut gelaunt waren, bekamen wir Kaugummis oder Schokolade. Zigarettenkippen, die die Soldaten wegwarfen, waren für uns sehr begehrt, denn aus drei Kippen konnte man eine Zigarette drehen, die wir für drei Reichsmark (RM) verkaufen konnten. Vor der Kantine standen oft Lieferwagen mit Lebensmitteln für die Küche. Die mutigeren Kinder versuchten, etwas vom Wagen zu stibitzen, denn Hunger war unser steter Begleiter.

Nach Kriegsende hatten in „Alt Holland“ auch Männer des Sprengkommandos ihr Quartier. Die Minensucher hatten die Aufgabe, die unzähligen Minen in den Wäldern und Feldern des Wassenberger Landes zu finden und zu sprengen. Die Tätigkeit der Minensucher war höchst gefährlich, und so mancher kam dabei ums Leben. Auch viele Zivilpersonen starben durch Minen oder Munition.

Josef Jaegers, der Eigentümer von „Alt Holland“, führte den Betrieb wieder ab etwa 1947, die Karnevalsgesellschaft „Nü-Wasseberch“ (Neu-Wassenberg) veranstaltete vor Fastnacht 1947 dort ihre erste Kostümsitzung. Zwei Jahre später war es dann die KG Kongo, die hier ihre Karnevalssitzungen veranstaltete.

Auch der Theaterverein „Bühnenfreunde“ (Oberstadt) führte in „Alt Holland“ ab 1947 seine volkstümlichen Stücke auf.

Allmählich entwickelte sich „Alt Holland“ wieder zum Nobel-Restaurant, zum Treffpunkt der „besseren“ Gesellschaft. An den Wochenenden sah man wieder — wie vor dem Kriege die Nobelkarossen von Nah und Fern und auf der Stahl-Tanzfläche schwang man das Tanzbein, oft auf dem Klavier begleitet von Heribert Heinrichs. Ich erinnere mich, dass schon Ende der 1940er Jahre die Theaterbühnen Aachen und Neuss regelmäßig in „Alt Holland“ gastierten.

Bälle des Tennisclubs

In den 1950er Jahren veranstaltete der Tennisclub Blau-Weiß hier seine Bälle, unter anderem mit dem bekannten Kölner Steingass-Terzett. 

 

1958 stellte die Familie Jaegers den Hotel- und Restaurantbetrieb „Alt Holland“ ein. Danach wurde hier für viele Jahre durch die Firma Derichs eine Näherei für Kinderkleidung betrieben. Heute befinden sich in „Alt Holland“ exklusive Wohnungen.

„Alt Holland“ ist auch heute noch ein Schmuckstück für das Städtchen Wassenberg. Foto: K. Lieck
„Alt Holland“ ist auch heute noch ein Schmuckstück für das Städtchen Wassenberg. Foto: K. Lieck

(Erinnerungen von Karl Lieck)

 

Historische Zeitungsartikel

2.10.1919 Versammlung Arbeiterschaft K&G

3.11.1920 Waldhotel an K&G verkauft

28.9.1927 Waldhotel wird renoviert

6.3.1928 Erweiterungsbau Waldhotel K&G (Herr Hilgers übernimmt Verwaltung des Hotels)

5.4.1928 Eröffnung Wirtschaft Alt Holland (früher Waldhotel) Inhaber Wexler & Sohn

5.5.1928 Eröffnung Alt Holland