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Kategorie: Verein
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von Hanns Heidemanns 

Wassenberg ist keine große oder bedeutende Stadt. Trotzdem hat „unser“ Wassenberg ein gewisses Etwas, nämlich Flair – Atmosphäre – Ausstrahlung. Es ist nicht das sonnigste, nicht das heiterste Pflaster der Welt, aber auch an diesem Fleckchen unserer Erde haben die Menschen immerhin Sonne im Herzen und Heiterkeit prägt ihr Gemüt. Wassenberg hat seine Geschichte, seinen Wesenszug. Und es ist groß, hübsch und bedeutsam genug für seine Einwohner, die, lebensfroh und selbstbewusst, wenngleich nicht ohne konstruktive Kritik, den Alltag hier in Tüchtigkeit glückhaft zu verbringen suchen. Man lebt zwar ganz gerne hier, schimpft aber auch hier – wie vielerorts - über den lieben Gott und die Welt und Wassenberger Gegebenheiten. Mangelnde Rückschau, häufig ungenügende Kenntnisse der Heimatgeschichte, fehlende Rücksicht und schlicht Gedankenlosigkeit im Alltag sind bedauerlicherweise zunehmend Kennzeichen unserer Gesellschaft.

Die Ursachen dieser Entwicklung sind einerseits in der sich rapid wandelnden Gesellschafts- und Familienstruktur zu suchen, die solidarisches Denken und Handeln kaum noch wertschätzt; andererseits ist es die Leistungsgesellschaft selbst, die puren Egoismus und Durchsetzungsvermögen fordert und fördert. Die Frage steht im Raum: Geht damit unser aller Verantwortlichkeit für das Gestern, das Heute und das Morgen unwiderruflich verloren? Lebensgewohnheiten, Sitten und Brauchtum sowie die Geschichte Wassenbergs sind die Fundamente unserer ureigenen Kulturentwicklung. Dabei war das Schicksal dieser Stadt und ihrer Menschen stets eng mit dem unserer Nachbarregion verknüpft.

 Am Ende des 19. Jahrhunderts gründeten weitblickende Bürger mit Sinn für Rück- und Vorschau den „Verschönerungsverein“, später „Verkehrs- und Verschönerungsverein“ – VVV -, woraus sich schließlich der heutige Heimatverein entwickelte.

Es war der Aufbruch in eine neue Zeit, die Wassenberg unter Bewahrung des Bewährten aus dem „Dornröschenschlaf“ führen sollte. Nikolaus Beckers, der jüngste Bürgermeister in Preußen, verwaltete die Gemeinde. Die Einwohnerzahl betrug etwa 1.300. Beckers schaffte es, dass Wassenberg zum führenden Industriestandort im damaligen Kreis Heinsberg wurde.


 

In der 1899 erbauten ersten mechanischen Seidenweberei Krahnen & Gobbers – einem Krefelder Weltunternehmen mit engen Kontakten zu Paris und London – sangen die Mädchen bei der Arbeit noch fromme Lieder (H. Gandelleid). Krahnen & Gobbers (1977 wegen Bergschäden abgebrochen) nach Wassenberg zu holen, war die wohl größte Tat eines Nikolaus Beckers und seiner Mitstreiter.

Im katholischen Stiftsgebäude neben der Georgskirche hatte sich die Tapetenfabrik des evangelischen Unternehmers Zorn etabliert, Wirtschaftsökumene zumindest schon damals.

1910 kam elektrisches Licht nach Wassenberg und löste die erst 1864 eingerichtete Straßenbeleuchtung mit Petroleumlampen ab. 1911 erhielt Wassenberg einen Bahnhof und Anschluss an die Bahnlinie Dalheim – Baal – Düren.

Weitere Fabriken wurden gegründet, zahlreiche Hauswebereien gesellten sich hinzu. Wassenberg mit seinen Wäldern und Heidegebieten wurde zu einem viel besuchten Naherholungsgebiet. Hotels und Pensionen boomten. Wassenberg wurde Luftkurort.

Durch den ersten Weltkrieg (1914-1918) und der sich anschließenden französischen Besatzung bis 1926 erlitt der wirtschaftliche Aufschwung eine jähe Unterbrechung.

Die Gemeinde Wassenberg versäumte es 1923, das herrliche Waldgebiet „Judenbruch“ aus der Erbmasse einer Maria von Forckenbeck zu erwerben. Holzeinschläge in Millionen Festmetern folgten. Die rapide Geldentwertung mag hier auch ihren Niederschlag gefunden haben. Am Ende der angeblichen „Golden Twenties“ mit kurzer Scheinblüte stand die große Arbeitslosigkeit. 1927 erfolgte die Anlage des Gondelweihers und der Bau des Freibades an der Stadtmauer, im ehemaligen „Graav“ (Graben).

1933, bei der „Machtergreifung“ durch die Nazis, zählte Wassenberg 2.112 Einwohner.

In der Nazizeit (1933-1945) blühte Wassenberg zunächst erneut auf, wiederum eine Scheinblüte, mit dem Ende der Nazizeit ging Wassenberg auch unter.

In den 30er Jahren wurde umfassend „verschönert“: Rosengarten, Tennisanlagen und der Kauf des „Judenbruches“, damals Stadtwald genannt, brachten zusammen mit dem Bau einer Wasserleitung (1935) und dem Bau von Bürgersteigen in der Innenstadt viel Ansehen und wiederum Gäste nach Wassenberg.

In „Alt Holland“ drehten sich die Paare auf einer Stahltanzfläche. Ein „Kurtheater“ (zur Hauptsache Kino) der Wwe. Jakob Flesch belebte die kulturelle Szene. 1938 dann der Bau des Westwalls. Viel Geld floss nach Wassenberg, aber dann erreichte im September 1939 auch Wassenberg der „zweite Weltkrieg“. Einquartierungen, Bombennächte, überfliegende riesige Bomberverbände und Bombenabwürfe schränkten den normalen Lebensrhythmus beträchtlich ein. 


 

Im September 1944 wurde die Bevölkerung - ostwärts der sowjetischen Armee entgegen - unter Zwangsmaßnahmen evakuiert. 1945 wurde die Innenstadt mit der altehrwürdigen St. Georgs- Basilika vollständig zerstört, die Brücken über die Bahnlinie gesprengt. Nach dem Kriegsende „regelten“ zunächst die Amerikaner, dann die Briten den Alltag.

Nach der Währungsreform im Juni 1948 war plötzlich der Hunger beseitigt, flossen Waren, begann ein „neues Zeitalter“, der Wiederaufbau setzte ein!

Der erneute wirtschaftliche Auftrieb Ende der 40er/Anfang der 50er Jahre resultierte zur Hauptsache aus der Textilindustrie.

Hinzu kamen die Zeche Sophia-Jacoba und das Glanzstoffwerk Oberbruch (Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG), das 1949 wieder seine Pforten öffnete und den Anschluss an die modernste Faserproduktion in der Welt fand. Auch der RAF-Flugplatz (Royal Air Force, 1952-1994) in Wildenrath sorgte für Arbeitsplätze.

Mit der Wiederbegründung des Verkehrs- und Verschönerungsvereins, später „Heimat-, Verkehrs- und Verschönerungsverein“ (HVV) genannt, im Jahre 1947 durch Amtsdirektor Friedrich Bell, Bürgermeister Hermann Buckmann, Dr. Jakob Broich und andere mehr, begann eine fruchtbare Phase einer bürgernahen und fundierten Kulturarbeit. Dr. Jakob Broich wurde 1954 Vorsitzender des HVV, der eng mit den maßgeblichen Vertretern von Rat und Verwaltung der Stadt zusammenarbeitete. Dr. Jakob Broich präsidierte nicht nur; er war auch selbst außerordentlich aktiv. Um die Erforschung der Geschichte der ehemaligen Grafschaft Wassenberg und der mittelalterlichen Stadt machte sich Dr. Jakob Broich außerordentlich verdient. Jahrelang grub er im Staatsarchiv Düsseldorf in den Akten, entdeckte das erste nachweisbare Stadtsiegel von Wassenberg aus dem Jahre 1273. Dr. Broich erstellte eine komplette Liste aller Burgbesitzer und machte sich darüber hinaus in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Heribert Heinrichs um die „Kirchengeschichte des Wassenberger Raumes“ hochverdient.

Zusammen mit seinem Freund Dipl.-Ing. Will Andermahr gab Dr. Broich wertvolle Impulse für den Wiederaufbau der Propsteikirche St. Georg und zur Umgestaltung der Burg Wassenberg als Treffpunkt für die Bürger der Stadt und vieler Gäste.

Die Restaurierung von Stadtmauer, Wehrtürmen und Roßtor schon Anfang der 60er Jahre geht maßgeblich auf die Initiative von Dr. Broich und Will Andermahr zurück. Anfang der 50er Jahre gab der HVV den Anstoß für eine Geldsammlung unter der Bürgerschaft für den Bau eines würdigen Kriegerehrenmales auf dem Wassenberger Soldatenfriedhof nach den Plänen des Wassenberger Architekten Paul Wollenweber.


 

Kulturpflege auch im anderen Sinne: Schon Ende der 40er Jahre spielten auf Einladung des HVV die Theaterensembles der Bühnen Neuss und Aachen in improvisiert eingerichteten Theatersälen im Hotel „Alt Holland“ und der Fabrik Krahnen & Gobbers. Später organisierte der HVV die Theaterfahrten zu den Aufführungen der Bühnen Rheydt und Mönchengladbach. Unermüdlicher Organisator und Betreuer war Christian Poschen vom Vorstand des HVV: ein Muntermacher der besonderen Art, der auch mit mundartlichen „Stöckskes“ viel z.B. bei Seniorennachmittagen beitrug. Der HVV wurde auch nicht müde, durch persönliche Kontakte die Kulturarbeit anderer Vereine zu fördern, gute Verbindungen zu benachbarten Heimatvereinen aufzubauen und eine breite Öffentlichkeit für die Kulturarbeit des Kollegs St. Ludwig Dalheim/Vlodrop zu interessieren. Gemeinsame Fahrten zur Rembrandt-Gedächtnisausstellung in Amsterdam und Teilnahme an Vorträgen oder Konzerten im Heimatmuseum Heinsberg gehörten ebenfalls zum Kulturaustausch. Willy Klimmeck, der Geschäftsführer des HVV von Mitte der 60er Jahre bis 1972, begründete auch die engen Kontakte zur niederländischen Heemkundevereniging „Roerstreek“ in St. Odilienberg, die sich die Arbeit des HVV Wassenberg für die eigene Gründung zum Vorbild nahm. Völkerverständigung war schon damals ein Gebot der Stunde. Große Fotowettbewerbe „Unser Wassenberg“ mit starker Resonanz förderten überdies den Bekanntheitsgrad von Wassenberg mit seinen Naturschönheiten und seinen historischen Bauwerken. Den organisatorischen Fähigkeiten eines Willy Klimmeck ist mit zu verdanken, dass der HVV durch das aufkommende Medium „Fernsehen“ bezüglich einer Freizeitgestaltung keine Einbußen erlitt, sondern, noch unterstützt durch werbewirksame Maßnahmen, seine Mitgliederzahl mehr als verdoppeln konnte.

Die in jüngerer Zeit wieder stark aktivierten historischen Stadtführungen begannen unter Dr. Jakob Broich schon in den 60er Jahren. Er war auch Anreger und 1. Präsident eines Deutsch-Englischen Clubs im Jahre 1964 mit der Zielsetzung einer besseren Verständigung zwischen Alliierten Streitkräften und der Bürgerschaft. Nach dem allzu frühen Tod von Dr. Jakob Broich übernahm Ludwig Essers 1972 den Heimatverein. 

Die Denkmalpflege war und ist ein besonderes Anliegen des Heimatvereins. Unter dem Vorsitzenden Ludwig Essers (1972-1990) wurden alle historisch wichtigen Gebäude mit Messing-Hinweis-Tafeln ausgestattet. Alle Denkmale im gesamten Stadtgebiet erfasste Ludwig Essers in mühevoller Kleinarbeit. Alle Daten und Fotos wurden in besonderen Aktenbänden erfasst und sowohl beim Kreis Heinsberg als auch bei der Stadtverwaltung Wassenberg archivmäßig hinterlegt.

Bei der Benennung oder Umbenennung von Straßen und Plätzen in Wassenberg wird seit Jahrzehnten der Heimatverein beratend hinzugezogen. Historie und Landschaft wurden und werden dabei entsprechend gewürdigt. Geschichtsereignisse soweit wie möglich sicht- und erkennbar zu machen, bleibt ein Anliegen des Heimatvereins.


  

1990 legte Ludwig Essers den Vorsitz in jüngere Hände. Karl-Heinz Geiser übernahm das verantwortungsvolle Amt. Geiser aktivierte u.a. die Denkmalpflege. Beispiele dafür sind: die Oskar-von-Forckenbeck-Gedächtnistafel am Forckenbeck-Haus in der Graf-Gerhard-Straße, die Erinnerungstafel am ehemaligen Kapuzinerkloster ebenfalls in der Graf-Gerhard-Straße, die Marktsäule auf dem Roßtorplatz, das Weber- und Färberdenkmal vor dem neuen Rathaus sowie das Bergmannsdenkmal in der Oberstadt. Der Vorschlag der St. Georgius-Bruderschaft, im Judenbruch ein Erinnerungsdenkmal an das 1977 in Folge von Bergschäden abgerissene Marienkloster zu errichten, wurde vom Heimatverein ebenfalls tatkräftig unterstützt. 

Die Stadt Wassenberg beteiligt sich seit Jahren mit Unterstützung des Heimatvereins an dem jährlich stattfindenden „Tag des offenen Denkmals“ (Referent: der Autor).

Die Angebotspalette des Vereins wurde unter K.-H. Geiser wesentlich erweitert. Eine Vortragsreihe „Geschichte vor Ort“, vom Verfasser seit 1996 und seit 2007 von Dr. Erwin Ruchatz durchgeführt, wurde mit mehrmals jährlich stattfindenden Vorträgen zu historischen regionalen Begebenheiten ein großer Erfolg.

Weiterhin erfolgen regelmäßige Fahrten zu Orten und Regionen mit geschichtlicher Bedeutung sowie zu Museen.

Dazu erfolgen nach wie vor die seit Jahrzehnten beliebten Wanderungen und Radwanderungen in die nähere und weitere Umgebung.

Karl Lieck sorgt schließlich alljährlich mit seinem „Plattdütsch-Oavend“ sowie eigenen Liedern für die Pflege und Erhaltung der Wassenberger Mundart.

2007 übergab K.-H. Geiser den Vorsitz an Sepp Becker.

Ihm obliegt es, die 1897 konzipierten Ziele auch unter gewandelten Bedingungen und geändertem Zeitgeist weiterhin erfolgreich zu realisieren.

 


 

Es wäre schön und wünschenswert, wenn die Einwohner Wassenbergs, selbstbewusst und stolz, wie sie sind, sagen könnten, was Hans-Dieter Hüsch in seinem Buch „Am Niederrhein“ für sich zu seiner Heimat feststellte, was schließlich auch auf uns hier zutrifft:

 „Die Römer waren hier

Die Oranier waren hier

Die Spanier waren hier

Die Schweden waren hier

Die Lothringer waren hier

Die Österreicher waren hier

Die Franzosen waren hier

Die Preußen waren hier

Und ich war hier!“

  

Quelle: Heimatverein 1897 - 2008