Drucken
Kategorie: Arbeitskreise
Zugriffe: 11412

Dem Vorschlag des Heimatvereins, im kommenden Jahr im Gedenken an Wassenberger Opfer des Nationalsozialismus auf Gehwegen sogenannte Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig zu verlegen, folgte der Kultur- und Sportausschuss im Rat der Stadt Wassenberg in seiner jüngsten Sitzung einstimmig. 

27 jüdische Mitbürger habe es in Wassenberg gegeben. „Von 24 wissen wir, dass sie tot sind oder deportiert wurden”, erläuterte Sepp Becker, Vorsitzender des Heimatvereins, in der Sitzung. Die Benennung der Gesamtschule nach Betty Reis sei gut, aber es habe ja auch noch andere betroffene Familien gegeben. So habe er erst kürzlich durch Zeitzeugen von einer Ukrainerin erfahren, die in Wassenberg gelebt habe und wegen angeblicher Sabotage erhängt worden sei.

Mit den knapp zehn mal zehn Zentimeter großen Steinen mit Inschrift auf einer darauf befindlichen Messingplatte werde ermordeten Opfern des Nationalsozialismus gedacht, nicht nur jüdischen Mitbürgern, sondern auch Sinti und Roma sowie anderen politisch und religiös Verfolgten oder Euthanasieopfern, hatte Becker in seinem Antrag auf Genehmigung des Projekts geschrieben. 

„Mit den bisher etwa 25.000 in Europa verlegten Stolperseinen ist das größte Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Europa entstanden.” In Deutschland befänden sich bereits in etwa 600 Kommunen solche Steine. Im Kreis Heinsberg ist Erkelenz eine davon. Wassenberg habe mit der Namensgebung für die Betty-Reis-Gesamtschule bereits ein Zeichen gesetzt, so Becker weiter. 

Die Stolpersteine, die durch Spenden finanziert werden sollen, seien eine sinnvolle Ergänzung, um diese Zeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. „Ein erster Stein ist auf dem Gehweg vor dem Geburtshaus von Betty Reis geplant”, erklärte er und wünschte sich eine Einbindung der nach ihr benannten Gesamtschule in diese Aktion. 

Auch am Wassenberger Roßtor hätten einige Bürger gelebt, wo dann künftig auch Stolpersteine verlegt werden könnten.

 

 


 

Steine erinnern an ein trauriges Schicksal

Anna Petra Thomas, Heinsberger Zeitung vom 18.12.2011

 

„Thomas Merbecks kniet auf dem Roßtorplatz. Vorsichtig nimmt er mehrere rote Ziegel aus dem Belag heraus und passt an dieser Stelle einen von drei grauen Steinquadern mit gold glänzendem Messingbelag ein.

«Wie hoch sollen die denn rausstehen?», fragt er in die Runde. «Ebenerdig», kommt von links die Antwort. «Ich dachte nur, weil die doch Stolpersteine heißen?», sagt er und macht sich mit Hammer und Meißel an die Arbeit. 

Zusammen mit dem Kölner Künstler Gunter Demnig hat der Bauhofmitarbeiter auf dem Wassenberger Roßtorplatz vor zwei Häusern je drei dieser Steine verlegt, weitere vier zwischen dem grauen Plattenbelag vor der Hausnummer 40 an der Brühlstraße. «Pflastern ist mein Job», meint er. «Aber diese Situation hier ist schon besonders der traurige Anlass. Wenn man daran denkt, das ist nicht so schön.»

Während er mit dem Künstler zusammen alle drei Steine in den vorhandenen Klinkerbelag einpasst, erinnert Bürgermeister Manfred Winkens an die Entstehungsgeschichte der Aktion. Sie sei vom Heimatverein und von der SPD vorgeschlagen worden, erklärt er. Alle Fraktionen im Rat trugen sie mit und stifteten einen Stein, Bündnis 90/Die Grünen sogar drei. Einen tat die Betty-Reis-Gesamtschule hinzu, einen der Heimatverein und einen Werner Ahlers. 

Zehn Steine konnten so in einer ersten Aktion in Wassenberg verlegt werden für zehn der zu Zeiten des Nationalsozialismus insgesamt 27 dem Heimatverein bekannten jüdischen Mitbürger. Diese zehn wurden nachweislich deportiert und vom NS-Regime getötet. Gemeinsam mit Dr. Ludger Hermann, Dr. Wolfgang Feix und Waltraud Kurth hat Vorsitzender Sepp Becker die erste Stolperstein-Aktion in Wassenberg vorbereitet und konnte auch an jedem Ort etwas erzählen über die Menschen, die dort lebten. 

Die ersten drei Steine wurden in der Nähe des Alten Rathauses, an der ehemaligen Löffelstraße verlegt für Bernhard, Sibilla und Arthur Kaufmann, in unmittelbarer Nähe des Roßtores dann weitere drei für Wilhelmine Heumann und ihre beiden Töchter Berta und Adele, die in Wassenberg bekannte Hutmacherinnen waren, wie Becker zu berichten wusste. Letzte Station der ersten Stolperstein-Aktion in Wassenberg war die Brühlstraße. Hier vor dem ehemaligen Haus Nummer 40 verlegten Merbecks und Demnig weitere vier Steine: für Willi und Else Reis sowie deren Tochter Betty, die Namensgeberin der Wassenberger Gesamtschule ist, und Elses Bruder Karl. 

Fünftklässlerin Pia Sch. trug währenddessen ein Gedicht von Heribert Heinrichs vor, das Betty Reis gewidmet ist. Sie wurde am 15. Juli 1921 in Wassenberg geboren, am 15. Juni 1942 nach Sobibor deportiert. Über Auschwitz kam sie nach Bergen-Belsen, wo sie 1944 ermordet wurde. Schüler eines Geschichtskurses stellten an der Brühlstraße die wichtigen Lebensdaten der Menschen vor, denen die Stolpersteine gewidmet sind. 

«Bei uns in der Schule ist dies immer ein Thema, von der fünf bis in die 13», berichtete Yvonne M. und begrüßte es, dass durch diese Aktion die Geschichte der Wassenberger Juden in der Stadt insgesamt stärker wahrgenommen werde. «Die Geschichte darf nicht verdrängt werden. Sie muss auch in den Köpfen der heutigen Jugend bleiben», betonte sie. «Hier kann man sie jetzt überall sehen, wenn es im Boden golden glänzt.» Mit dem Wetter, das sei schade, blickte sie in dunkle Wolken und starken Regen. «Obwohl es irgendwie passt. Es ist ja auch grauenhaft, was diesen Menschen geschehen ist!» 

Schulleiter Heinrich Spiegel dankte allen Schülern, die trotz des schlechten Wetters nach dem Unterricht an der Aktion teilgenommen hatten. Das Haus der Familie Reis sei zwar mittlerweile abgerissen worden, erzählte er. Die Betty-Reis-Gesamtschule sei aber im Besitz der alten Hausnummer 40, die an diesem Haus gehangen habe. Und diese werde jetzt einen gebührenden Platz in der Schule erhalten. 

 

Akte als Dokument grausamer Akribie

Im Rahmen der Stolperstein-Aktion in Wassenberg überreichte Dr. Wolfgang Feix je eine Kopie der Akte «Verwaltung das dem Reich verfallenen Grundstücks Wassenberg, Am Roßtor 44» aus dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (BR 1380) an den Heimatvereinsvorsitzenden Sepp Becker und an Gesamtschulleiter Heinrich Spiegel. 

Die Akte über die Familie Heumann, die von 1942 bis 1949 geführt wurde und mit der nach Recherche von Feix mindestens 50 Personen befasst waren, «legt Zeugnis davon ab, in welcher Art und Weise deutsche Beamte und Angestellte minutiös und akribisch an der Erfüllung des Programms der Hitlerfaschisten zu Vernichtung jüdischer Mitbürger gnadenlos auf der Basis der extra geschaffenen Rechtsvorschriften mitwirkten», so Feix.“ 

 


 33 Stolpersteine verlegt

Andreas Speen, Rheinische Post vom 15.12.2011

Wassenberg/Erkelenz. Unter großer Anteilnahme sind in Erkelenz und Wassenberg Stolpersteine verlegt worden. Damit wird jüdischer Mitbürger gedacht, die in der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und getötet worden sind. 

In Erkelenz wurden 23 Stolpersteine verlegt, in Wassenberg weitere zehn. Künftig erinnern die Messingsteine an Menschen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft deportiert und getötet worden sind. Der Kölner Künstler Gunter Demnig, der in seiner Heimatstadt bereits mehr als 1400 und europaweit 33 000 Stolpersteine verlegt hat, war gestern zuerst in Erkelenz und anschließend in Wassenberg. Er sagte: "Ich freue mich, dass immer neue Orte, neue Steine hinzukommen."

80 jüdische Mitbürger lebten in Hochzeiten in der Erkelenzer Innenstadt. Das war 1905. 1941 waren es noch 17. In einem Projekt widmeten sich 22 Schüler der achten und zehnten Klasse der Hauptschule am Zehnthofweg den deportierten Menschen und deren Geschichte. Weitere zehn Schulklassen beteiligten sich an dem Projekt durch Patenschaften für jeweils einen Stolperstein. Sponsoren finanzierten die weiteren Steine, die in Erkelenz jetzt in den Gehwegen vor den Häusern an der Burgstraße 12, Kölner Straße 4, Aachener Straße 5, Wilhelmstraße 18 und am Johannismarkt 1 und 4 liegen. Begleitet wurden die Schüler, die im Wahl-Pflicht-Unterricht auch den jüdischen Friedhof an der Neusser Straße pflegen, von Lehrer Josef Adams, Schulseelsorgerin Maria Bubenitschek und Historiker Hubert Rütten.

Gestern trugen die Schüler an jeder Station Gedanken und Texte über die Verstorbenen vor. "Ich habe ein brennendes Interesse bei den Schülern verspürt", sagte Josef Adams. So bekomme die Geschichte ein Gesicht, "und es ist ein wichtiges Zeichen gegen den immer wieder aufflammenden Rechtsextremismus gesetzt worden". Eine Fortsetzung des Projekts kann sich die Erkelenzer Hauptschule vorstellen. Zu solchem Engagement sagte der Künstler Gunter Demnig: "Was mir besondere Freude macht, ist das Interesse der Jugendlichen an dieser Thematik."

Das wünschen sich die Schüler

Angehörige der früheren Erkelenzer Mitbürger und Zeitzeugen wie Eva Weyl erlebten das Verlegen der Steine gestern mit, andere wollen sich die Stolpersteine später anschauen. Ihre Hoffnungen, was die Steine in den Köpfen und Herzen der Menschen bewirken, erläuterten die Schüler. "Wie gut, dass es die Steine gibt, die die Namen der Menschen ins Gedächtnis rufen", sagte eine Schülerin, eine andere erklärte: "Wir wenden uns damit auch gegen Menschen, die heutzutage nicht tolerant sind." Dass die Bürger künftig "einen Moment innehalten und die Inschrift lesen", ist ein gemeinsamer Wunsch der Erkelenzer Schüler gewesen.

Erinnerung an

Vier Stolpersteine hatte es in Erkelenz auf der Kölner Straße schon gegeben. Die neuen Steine erinnern an Karolina Hirsch, Ernestine Marcus, Joseph und Cilly Hes, Berthold, Heinz, Hans Günther und Sibilla Katz, Klara und Helene Leyens, Ernst und Johanna Weinberg, Juliana, Hans und Henriette Moll, Leopold und Erna Leyens, Grete Rosenstein, Mathilde, Max, Henriette und Alfred Rubens und Johanna Lowitz.

In Wassenberg wird an Bernhard, Sibilla und Arthur Kaufmann, Wilhelmine, Berta und Adele Heumann sowie Willi, Else und Betty Reis und Karl Hertz erinnert.

Quelle: RP

 

Liste der Stolpersteine in Wassenberg (Wikipedia)