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Kategorie: Arbeitskreise
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Schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts lebten in Wassenberg jüdische Mitbürger.

Das Zusammenleben war durch wiederholte Repressalien und Verfolgungen nicht immer unproblematisch, doch waren sie stets in das kleinstädtische Leben Wassenbergs integriert.

Dies änderte sich radikal durch die Gewaltherrschaft der Nazis, die nur wenige Wassenberger Juden überlebten.

Die Arbeitsgemeinschaft „Jüdisches Leben“ befasst sich mit dem Schicksal unserer jüdischen Mitbürger, damit es nicht in Vergessenheit gerät und uns eine Mahnung zu Toleranz und Nächstenliebe bleibt.

Karl Lieck

 

Gedenktafel am Waldfriedhof
Gedenktafel am Waldfriedhof

 

Nur noch wenige Spuren jüdischen Lebens in Wassenberg

Im Heimatverein Wassenberg ist ein Arbeitskreis aktiv, der die Spurensuche ehemaligen „jüdischen Lebens“ betreibt. Der Verdienst der Mitglieder zur Aufklärung spiegelt sich auch wider in der Broschüre „Historischer Altstadtrundweg“ der Stadt Wassenberg. So gehören die Standorte der ehemaligen Synagoge wie des jüdischen Friedhofs als Stationen zum historischen Altstadtrundweg.

„In Wassenberg gibt es heute keine jüdischen Mitbürger mehr. Die meisten Wassenberger Juden sind in Konzentrationslagern umgekommen. Betty Reis, unsere Wassenberger ,Anne Frank‘, ist im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet worden“, beschreibt Sepp Becker, Vorsitzender des Heimatvereins Wassenberg, den „Früher und Heute-Zustand“ am Beispiel der Familie Reis. Mit dem Namen Reis kann exemplarisch das Schicksal der ehemaligen jüdischen Mitbürger in Wassenberg aufgezeigt werden.

Das Buch „Wassenberg – Geschichte eines Lebensraumes“ von Heribert Heinrichs widmet der Autor „dem Andenken des ermordeten jüdischen Wassenberger Mädchens Betty Reis, stellvertretend für die Vernichtung der jüdischen Mitbürger Wassenbergs“.

Auf Seite 423 bis 432 beschreibt er jüdisches Leben, von den Anfängen (beurkundet 1321) bis zu den letzten Lebenszeichen um 1942 und was aus der kleinen jüdischen Gemeinde wurde, die 1937 genau 27 Mitglieder stark war. Sowohl Heinrichs wie auch Karl Lieck in der Broschüre „Walter Reis – Kindheit und Jugend“ stützen sich auf Tonbandprotokolle von Walter Reis (1920–2005), dem Bruder von Betty Reis. Walter Reis überlebte als einziger seiner Familie den Holocaust.

Das ehemalige Wohnhauses der Familie Reis. Repro/Foto: Bindels

Wer sich auf die Spurensuche des ehemaligen jüdischen Lebens begibt, findet nur noch wenige Anhaltspunkte. Selbst das Wohnhaus der Familie Reis (In der Brühl/ Brühlstraße 40) wurde vor einigen Jahren abgerissen. So ist der jüdische Friedhof gegenüber dem neuen Rathaus zumindest ein Wegweiser in Bezug auf die Namen der jüdischen Familien, die in Wassenberg gelebt haben.

An der Stelle des ehemaligen Wohnhauses der Familie Reis (links) existiert heute nur noch eine Baulücke. Repro/Foto: Bindels

Die Familie Reis (Vater Willy Reis, 1880-1944; Mutter Else Reis, geborene Hertz, 1882-1944, Betty und Walter) war verwandt mit der Familie Hertz. Else Reis‘ Bruder, Karl Hertz (1886-1938), kam schon im Mai 1938 im KZ Sachsenhausen unter mysteriösen Umständen ums Leben. Ein weiterer Bruder, Max Hertz (1883- 1984), überlebte im KZ Theresienstadt und wurde zu seinem 100. Geburtstag (1983)von der Stadt Wassenberg durch den damaligen Ortsvorsteher Karl-Heinz Geiser in München geehrt.

Weitere Familiennamen, die auch auf den Grabsteinen zu finden sind, sind die der Familie Jakob und Sarah Heumann (1854-1944) sowie der ihrer Töchter Berta (1888-1944) und Adele (1891-1944), die neben dem Roßtor (ehemals im Haus 246) lebten und ein Hutgeschäft führten. Simon Heuman, Textilkaufmann, lebte mit seiner Familie an der Ecke Roermonderstraße/Synagogengasse.

Neben dem Friedhof ist die Synagoge, die im Zuge der „Kristallnacht-Ereignisse“ zerstört wurde, zumindest mit ihrem ehemaligen Standort (Synagogengasse) sicher zu benennen. Zeitzeugen haben eine Zeichnung gefertigt. In seinem Buch „Die Synagoge in Wassenberg“ beschreibt Dr. Paul Gotzen allerdings ein denkbar anderes Aussehen. Heute weist eine Tafel an den Mauerresten in der Synagogengasse auf den ehemaligen Standort hin.

In der Broschüre von Walter Reis „Kindheit und Jugend“ lässt das Tonbandprotokoll den Leser die Zeit nachempfinden, in der von den Alltagssorgen, der Isolation der Kinder Walter und Betty, der Angst und der Erwerbslosigkeit des Vaters Willy ab 1933 in der Familie Reis berichtet wird.

„In Wassenberg ist gerade mit der Nachbarschaftshilfe Zivilcourage gezeigt worden, die der Familie Reis das Überleben sichern half“, erklärt Sepp Becker. Kurz bevor die Familie Reis in die KZ-Lager verbracht wurde, habe Else Reis als Dank für die langen Jahre der Unterstützung eine „Schiller-Ausgabe“ den Nachbarn überreicht. Als Widmung hatte sie geschrieben: „Allen Nachbarn möchte ich zum Andenken an gute Nachbarschaft eine Freude machen. So auch dir Theo. Frau Reis am 15. Mai 1941“. Das Buch ist im Wassenberger Rathaus in einer Vitrine ausgestellt. (jb)

 


 

Letztes sichtbares Zeichen jüdischen Lebens abgerissen

Haus Reis in Wassenberg schon seit langem baufällig. Schicksal des Gebäudes beginnt mit Jakob Hertz aus Gangelt.

Von Karin Klimmeck

Wassenberg. Mit dem schrittweisen Abbruch des Hauses Reis in der Brühlstraße geht das letzte sichtbare Zeichen jüdischen Lebens in Wassenberg zu Ende. Die behördliche Genehmigung wegen Baufälligkeit lag schon einige Zeit vor. Das Schicksal des Hauses Reis in Wassenberg beginnt mit Jakob Hertz aus Gangelt, der mit seiner Ehefrau Johanna Hertz, die aus Krefeld stammt, nach Wassenberg zog. 1881 hatten die beiden geheiratet. Sie wohnten in der Wassenberger Brühlstraße neben Josef Hertz, der später nach Gladbach übersiedelte. Die Söhne Max und Karl hatten eine Schwester namens Else, die spätere Mutter von Walter und Betty Reis. Der Vater Willi Reis stammte aus Frankfurt. Walter und Betty besuchten die evangelische Volksschule, damals in Wassenberg-Süd. Walter gelang noch im Frühjahr 1939 die Ausreise über Holland nach England und später nach Kanada. Hier verstarb er im Sommer vor zwei Jahren, seine Urne ruht im Grab seiner Großeltern auf dem jüdischen Friedhof in Wassenberg. Seine Frau Ellen hatte sie mit behördlicher Genehmigung im Flugzeug nach Wassenberg gebracht, um den letzten Wunsch ihres Mannes zu erfüllen. An seine Schwester erinnert der Name der „Betty-Reis-Gesamtschule“, die in ihrem Hauptgebäude und auf dem Gräberfeld in der ehemaligen Konzentrationsanlage Bergen-Belsen einen „geteilten“ Gedenkstein aufstellen ließ, der ein Stück lebendiges Erinnern bleiben wird.

Mit dem schrittweisen Abbruch des ehemaligen Wohnhauses der jüdischen Familie Reis wurde wegen Baufälligkeit mit behördlicher Genehmigung begonnen. Das Wohnhaus stammte aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Foto: Walter Brehl

Walter Reis und kürzlich noch einmal seine Witwe Ellen Reis aus Kanada besuchten des öfteren das Geburts- und Wohnhaus der Familie in der Brühlstraße. Max Hertz, der Onkel der beiden Reis-Kinder, verstarb im Alter von 101 Jahren an seinem Wohnort bei München. 

Karl Hertz, der Bruder und Onkel, kam schon früh in einem Konzentrationslager um. „Auf der Flucht erschossen“ lautete die lapidare Mitteilung an seine Familie. Willy und Else Reis, geb. Hertz, kamen im Konzentrationslager Auschwitz um. Eine sichtbare Erinnerung ist der Gedenkstein auf dem Judenfriedhof in der Roermonderstraße.