Rede des Heimatvereinsvorsitzenden, Sepp Becker, anlässlich der Eröffnung der Gedenkstätte am Synagogenplatz in Wassenberg am 10.11.2015
Sehr geehrte Damen und Herren,
der 9. November, der gestrige Tag also, ist ein besonderer, ein schicksalhafter Tag für Deutschland. Innerhalb von 71 Jahren ist dieser Tag im vorigen Jahrhundert viermal prägend für die deutsche Geschichte:
1918: Ausrufung einer demokratischen Republik
1923: Niederschlagung des Hitlerputsches in München
1938: Reichspogromnacht
1989: Öffnung der Berliner Mauer
Der Bezugstag für unsere heutige Feier ist die Reichspogromnacht am 9./10. November. 1938 erschießt ein junger jüdischer Mann einen deutschen Botschaftsmitarbeiter in Paris. Durch einen von den Nazis organisierten Pogrom wurden im deutschen Reich die Synagogen in Brand gesetzt, jüdische Geschäfte und Häuser demoliert und ausgeraubt, jüdische Menschen festgenommen und Männer ins KZ gesteckt.
In Wassenberg ist diese abscheuliche Aktion erst am nächsten Morgen durchgeführt worden – heute genau vor 77 Jahren, angeführt von zwei Wassenberger Nazis.
Die kleine Synagoge wurde beraubt und in Brand gesetzt, die jüdischen Frauen, Männer und Kinder im Keller des Rathauses inhaftiert. Das Mobiliar der Familie Benjamin zerschlagen. Einige jüdische Männer – Willi Reis und Bernhard Kaufmann - kamen ins KZ und kehrten später als gebrochene Menschen zurück.
Bei dieser Aktion hier in dieser Gasse gab es den mutigen Auftritt von Max Graab, der den Naziakteuren sinngemäß zurief: „Ihr Verbrecher! Ihr seid Gotteslästerer! Glaubt nur, dass euch das eines Tages heimgezahlt wird. Der Gott der Juden ist auch unser Gott.“ Das war beispielhafte Zivilcourage und kostete ihn einen Gefängnisaufenthalt.
Schulkinder wurden hierher in diese Gasse geführt und ihnen wurde die sogenannte „spontane Aktion des Volkes“ gezeigt und anschließend die festgesetzten Juden im Keller des Rathauses.
Seit wann gab es damals in Wassenberg eine kleine jüdische Gemeinde mit einer kleinen Synagoge?
1321, zu einer Zeit, als Wassenberg bereits seit ca. 50 Jahren Stadtrechte besaß, wird der Jude „Alexander“ sowie einige Jahre später das Judenbruch urkundlich erwähnt. Den jüdischen Friedhof gibt es seit 1688.
Aus dieser Zeit wissen wir nur wenig aus Wassenberg, aber Juden lebten hier in dieser kleinen Stadt. Es ist bekannt, dass die jüdische Bevölkerung in Europa immer wieder Nachstellungen und Pogromen ausgesetzt war. In anderen Zeiten erlebten sie auch Hochphasen – wenn sie für Schutzbriefe Geld zahlten.
Volles Bürgerrecht erhielten sie, als das Rheinland zu Frankreich kam. 1808 lebten in Wassenberg und Birgelen 42 jüdische Personen. Mit dem Fortfall der alten Judengesetze und der Berufsverbote verbesserte sich die Lebenssituation etwas. Viele waren jedoch sehr arm. Sie blieben meist weiterhin in den traditionellen Berufen tätig. Die auf dem Land lebenden Juden waren in der Regel Handwerker oder Händler: Metzger, Viehhändler, Schneider oder Hausierer. In Wassenberg kam der Beruf der Hutmacherin dazu.
Bis 1840 hatten die deutschen Juden in den kleinen und verstreut liegenden Gemeinden große Probleme ihr religiöses Leben zu organisieren. In der Zeit zwischen 1840 und 1870 kam es zu einer Blüte für die jüdischen Landgemeinden; zahlreiche kleinere Synagogen entstanden, so auch die Wassenberger Synagoge im Jahr 1867 (siehe Tafel). Das Gebäude war kein auffälliges oder gar architektonisch wertvolles Bauwerk.
Es folgte eine Zeit, die für die jüdische Gemeinde die angenehmste in ihrer Geschichte war: die Rechtsgleichheit aller Bürger, die Ausübung ihrer Religion im eigenen Gotteshaus, manchmal ein bescheidener Wohlstand, die Teilnahme am öffentlichen Leben waren problemlos. Dies zeigte sich auch daran, dass jüdische Familien in Wassenberg an Brauchtumsfeiern wie Vogelschuss, Kirmes und Veranstaltungen am 1. Mai teilnahmen. Karl Hertz und sein Schwager Willy Reis waren im 1. Weltkrieg deutsche Soldaten. Der Synagogenvorsteher Simon Heumann war eine angesehene Person im Ort und Mitbegründer des 1897 gegründeten Heimatvereins.
Das religiöse Leben wurde hauptsächlich in den Familien gepflegt und in den Gottesdiensten in der kleinen Synagoge. Es ist bemerkenswert, dass eine so kleine Gemeinde (30-40 Personen) ein eigenes Gotteshaus hatte. Die Ausstattung war sehr einfach: ein Schrein für die Thorarolle, das ewige Licht (ner tamid), Kupferbecken für die Handwaschung, Leuchter, Sabbatlampen, ein erhöhtes Holzpodest, ein kleiner Tisch und ein Pult für den Vorbeter.
Der kleinen Gemeinde reichte es nicht für eine eigene Schule. Die Heumann-Mädchen und Arthur Kaufmann gingen zur katholischen Volksschule, die meisten jüdischen Kinder, auch Betty und Walter Reis, zur evangelischen Volksschule.
Wassenberger Juden im III. Reich
Die rassistische Ideologie der NSDAP war verbrecherisch und setzte ihre Ziele rücksichtslos um.
Hatten Juden schon immer unter Benachteiligung und verbalen Beleidigungen zu leiden, so war ihre Lage nach der Machtübernahme Hitlers mit seiner NSDAP 1933 schlagartig verschlimmert.
Dies bekamen z.B. Walter und Betty Reis sofort zu spüren: Walter beschreibt, dass ihr Lehrer Paulussen ihnen vor der Hitlerzeit wohlgesonnen war, aber jetzt drangsalierte er die Kinder.
Zahlreiche Benachteiligungen hatten die Juden zu erleiden: Sie durften das Schwimmbad nicht mehr besuchen, waren im Kino und in den Lokalen unerwünscht, erhielten Berufsverbote und in Geschäften, die Juden gehörten, sollte nicht mehr eingekauft werden.
Das erste Wassenberger Opfer war Karl Hertz. Im April 1938 wurde er - weil er behindert war - als „nutzloser Mensch“ verhaftet und ins KZ Sachsenhausen deportiert. Am 24. Juni 1938 kam die Nachricht, er sei „auf der Flucht erschossen“ worden.
Für die jüdischen Familien herrschte bittere Armut. Heimlich und immer in Gefahr denunziert zu werden, haben andere Wassenberger Familien geholfen. Else Reis (die Mutter von Walter und Betty) dokumentiert dies in einem Band von Schillers Gesamtausgabe, das sie vor ihrer Deportation ihren Nachbarn als Dank für ihre gute Nachbarschaft schenkte.
Selbst der jüdische Friedhof blieb nicht unangetastet: Er wurde durch auswärtige Nazis geschändet.
Die Familien Reis und Heumann sowie Sibilla Kaufmann wurden 1942 deportiert und kamen bei der Deportation oder im KZ um. Die anderen jüdischen Familien tauchten unter, wurden gefasst und ermordet oder sind vermisst, genauso wie acht aus Wassenberg stammende Juden, die in der NS-Zeit nicht mehr in dieser Stadt wohnten. Besonders erschüttert hat mich das Schicksal der Familie Kaufmann. Sie tauchten in Köln unter, wurden von dort 1941 deportiert und Mutter Paula (39) mit ihren Kindern Rosalie (15) , Gertrud (5 Tage nach ihrem 14. Geburtstag) und Edith (9) wurden im KZ Kulmhof umgebracht. Das Schicksal des Vaters ist unbekannt.
Die Familie Schwarz konnte in den Niederlanden untertauchen und überlebte, wie auch Walter Reis, der am 17.3.39 die Ausreisegenehmigung erhielt und legal nach England ausreisen durfte.
In Wassenberg wurde das letzte jüdische Kind, Edith Kaufmann, am 30. März 1933 geboren:. Die letzte jüdische Beerdigung fand im Februar 1933 statt: Eva Heumann.
Die jüdische Gemeinde Wassenberg war ausgelöscht.
Erinnerungskultur an die Wassenberger Juden
Der Holocaust, die Vernichtung von ca. 6 Millionen Juden, sowie von Roma, Sinit und anderen „Systemfeinden“, ist als quasi industrieller Massenmord einmalig in der Geschichte der Menschheit. Die schrecklichen Ereignisse während der NS-Zeit müssen in Erinnerung bleiben, damit jede Generation lernt, dass sie dafür verantwortlich ist, dass Rassismus, Unterdrückung, Fremdenfeindlichkeit und Krieg nie mehr geschehen.
In den 1950er Jahren wurden die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof – soweit vorhanden – wieder aufgestellt. „Storms Jätzke“ wurde in „Synagogengasse“ umbenannt.
Der Heimatverein brachte in der Synagogengasse und am jüdischen Friedhof Tafeln zur Erinnerung an die jüdischen Mitbürger an.
Hier möchte ich meinen Vorgängern im Heimatverein, Ludwig Essers und Karl-Heinz Geiser, herzlichen Dank aussprechen für ihren Einsatz zu diesem Thema, als es fast vergessen war.
Die Betty-Reis-Gesamtschule erinnert mit ihrem Namen an ein jüdisches Mädchen und begreift dies auch weiterhin als pädagogischen Auftrag.
Versöhnung – Walter Reis
Auch diese Gedenkstätte am Ort der alten Synagoge soll der Erinnerung dienen. Der Innenraum wird durch die Pflasterung dargestellt, die im Fußboden Steine der alten Synagoge enthält. Die gepflanzte Hecke symbolisiert die Außenmauern der Synagoge. Auch das Türgewände in der Mauer zur Synagogengasse stammt aus der Synagoge. Die Tafeln dienen der Information.
In Wassenberg gibt es weitere Gedenkstätten:
Schüler/-innen der Betty-Reis-Gesamtschule haben gemeinsam mit dem Heimatverein Wassenberg eine Route „Gegen das Vergessen“ erarbeitet.
Erinnerungskultur bedeutet, sich aktiv mit den Ereignissen auszusetzen. So sind die Besuche in den KZs Bergen-Belsen und Auschwitz Erinnerungsorte auch für Wassenberger. Lesungen, Ausstellungen, aber auch Stadtführungen beschäftigen sich mit dieser Thematik.
Im nächsten soll eine Ausstellung über das jüdische Leben zwischen Rhein und Maas gezeigt werden, zunächst in der Schule, dann im Bergfried.
Die vielen neuen Erkenntnisse über das jüdische Leben in Wassenberg sollen zu einem späteren Zeitpunkt zusammengefasst und veröffentlicht werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Gestaltung des neuen Synagogenplatzes
Gestern vor genau 77 Jahren wurde die Wassenberger Synagoge von Nazis in Brand gesetzt und zerstört. Eine Gedenkstätte am Ort des Geschehens erinnert jetzt an das Leben und Schicksal der Wassenberger Juden. Von Angelika Hahn
Die hässliche Brachfläche in Wassenbergs Ortskern gehört nach dem Neubau des Praxishauses Beckers und der ansprechenden Gestaltung des dahinter anschließenden Platzbereiches der Vergangenheit an. Vor allem aber findet durch die Umgestaltung der Standort der früheren Synagoge entlang der Mauerreste an der Synagogengasse nun eine angemessene Gestaltung als Gedenkstätte.
Gestern wurde unter großer Anteilnahme vieler in dieser Sache engagierter Bürger und historisch Interessierter aus dem weiten Umkreis die vom Wassenberger Heimatverein initiierte Gedenkstätte ihrer Bestimmung übergeben.
Am Tag genau vor 77 Jahren, dem Morgen nach der Reichspogromnacht, war das Gotteshaus von Nazis in Brand gesetzt und dem Erdboden gleich gemacht worden. Bestürzend nah ging das gestern durch die Schilderungen der beiden Zeitzeugen Karl Lieck ("Es rauchte noch") und Karl-Heinz Geiser vom Heimatverein, denen damals als Schüler "stolz" das Zerstörungswerk vorgeführt wurde. Dann wurden die Kinder zu den Gefängniszellen ans Alte Rathaus geführt, wo die Kinder zu Schmährufen gegen die dort einsitzenden Juden angestachelt wurden.
Die Stadt ließ die Grundfläche des kleinen Gebetshauses nun pflastern, integriert sind einige wenige Steine der Synagoge, deren Umrisse von einer Hecke angedeutet werden. Auf der Mauer erinnern Tafeln, an deren Texten neben dem Heimatverein auch Schüler(innen) der Betty-Reis-Gesamtschule mitgearbeitet haben, an die Wassenberger Juden im Dritten Reich, an jüdisches Leben in der Stadt und die Biografien der ermordeten Wassenberger Juden.
Zur Feierstunde begrüßte Bürgermeister Manfred Winkens in seiner langen Liste der Gäste besonders Mitglieder der Familien Latour und Graab, die mit dem jüdischen Leben in der Stadt in besonderer Verbindung stehen. So erinnerte Heimatvereinsvorsitzender Sepp Becker in seiner Rede an Max Graabs mutigen Protest nach dem Synagogenbrand. Graab wetterte gegen die Nazis als "Verbrecher" und "Gotteslästerer" und landete natürlich im Gefängnis.
Becker gab einen interessanten Abriss jüdischer Geschichte in Wassenberg. 1321 wurde zum ersten Mal urkundlich ein jüdischer Stadtbürger erwähnt, seit 1699 gebe es den jüdischen Friedhof. 1808 lebten 42 jüdische Bürger in Wassenberg und Birgelen. Die Zeit zwischen 1840 und 1879 nannte Becker eine Blütezeit jüdischen Lebens in den Landgemeinden, es entstanden Synagogen, wie 1867 die in Wassenberg. Juden waren aktiv im Gemeindeleben. Synagogenvorsteher Simon Heumann etwa gehörte 1897 zu den Mitgründern des Heimatvereins. In der NS-Zeit der radikale Wandel: Juden, so Becker, durften nicht ins Schwimmbad oder Kino, waren in Lokalen unerwünscht, in ihren Geschäften sollte nicht eingekauft werden. Karl Hertz war das erste Wassenberger Opfer, das ins KZ (Sachsenhausen) deportiert wurde. Auch an weitere jüdische Familien, auf die Becker einging, erinnern die neuen Gedenktafeln.
Allen voran spielt das Schicksal der Familie Reis eine Rolle, zumal Betty Reis' Bruder Walter (gestorben 2005) als nach Kanada ausgewanderter Holocaust-Überlebender spät wieder Kontakt und Zugang zu seiner Heimatstadt fand, mit der er zunächst nie wieder etwas zu tun haben wollte. Sepp Becker erinnerte daran und an die Begegnung von Reis mit den Jugendlichen der Gesamtschule, die ihn umstimmten. Seine Witwe hält bis heute Kontakt nach Wassenberg und zur Betty-Reis-Gesamtschule, deren Projektchor die Feierstunde gestern mitgestaltete.
Quelle: RP vom 11.11.2015
GEDENKEN
Geplant: eine Route gegen das Vergessen
Ahornpflanzung: Die pensionierte Didaktische Leiterin der Betty-Reis-Gesamtschule, Barbara Kaiser, war gestern auch bei der Feierstunde. Sie brachte den Schössling des Ahornbaums, der an der Gedenkstätte gepflanzt wurde, 2001 von einem Kanada-Besuch bei Walter Reis mit und pflanzte ihn in ihren Garten. Jetzt freut sie sich über den neuen Standort.
Vorhaben: Erwähnt wurden gestern weitere Gedenkorte in der Stadt, etwa der Jüdische Friedhof, die Stolpersteine oder der (gebrochene) Gedenkstein an Betty Reis in der Gesamtschule, dessen zweite Hälfte in Bergen-Belsen steht. Jetzt erarbeiten der Heimatverein und Jugendliche der Gesamtschule eine "Route gegen das Vergessen" in Wassenberg, und für 2016 ist eine Ausstellung über jüdisches Leben in Wassenberg geplant.
Gedenkstätte und Mahnmal zugleich (Heinsberger Zeitung vom 11.11.2015)
Gedenkstätte erinnert an jüdisches Leben (Wassenberg Aktuell vom 6.12.2015)
Jüdischer Friedhof an der Roermonder Straße wird unter Denkmalschutz gestellt. Anfänge der Gemeinde reichen bis ins Mittelalter zurück.
Wassenberg. Der jüdische Friedhof in Wassenberg an der Roermonder Straße (gegenüber dem Rathaus) wird unter Denkmalschutz gestellt. Dafür hat sich einstimmig der Kulturausschuss des Wassenberger Stadtrates ausgesprochen.
Im vergangenen Jahr hatte eine Kommission des Rheinischen Amtes für Denkmalschutz den Friedhof besucht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass er ein Baudenkmal im Sinne des Landesgesetzes und bedeutend für Wassenberg ist.
Wie aus dem Buch „Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen“ von Elfi Pracht hervorgeht, reichen die Ursprünge der kleinen jüdischen Gemeinde von Wassenberg bis ins Mittelalter zurück. Der in Köln wohnende Alexander von Wassenberg zählte 1321 zu den Gläubigern von St. Andreas. Der heutige Wassenberg Stadtpark, eine im 19. Jahrhundert kultivierte Waldlandschaft, hieß von alters her Judenbruch.
Möglicherweise hat Vinzenz von Moers 1450 den Wassenberger Juden das Gelände für viel Geld verpachtet. Seit 1324 ist die Bezeichnung Judenbruch überliefert. Möglicherweise befand sich im Judenbruch auch der erste jüdische Begräbnisplatz.
Die jüdische Gemeinde Wassenbergs war immer recht klein und umfasste auch im 19. Jahrhundert nicht mehr als 40 Personen. 1867 wurde eine Synagoge errichtet, die 1938 niedergebrannt wurde. 1688 wurde der Friedhof Roermonder Straße angelegt, damals noch vor den Toren der Stadt. Die letzte Bestattung fand wohl 1933 statt. 1939 erwarb die Gemeinde Wassenberg den Friedhof und gab ihn 1953 bis auf ein Reststück an die Jewish Trust Corporation zurück.
Der Friedhof liegt leicht erhöht über der Straße und ist zu dieser durch ein Mäuerchen mit Portalpfeilern, die ein altes Eingangstor mit neugotischen Motiven rahmen, eingefriedet. Dahinter erreicht man über mehrere Stufen eine Rasenfläche.
Die erhaltenen Grabsteine sind in zwei bis drei Reihen längs einer gedachten Mittelachse aufgestellt. Es handelt sich um 17 Steine, von denen einige noch dem 19. Jahrhundert angehören. Die jüngste Bestattung ist wohl jene von Eva Heumann, gestorben 10. Februar 1933.
Außerdem sind etwas abseits der Steine ein Gedenkstein der Stadt Wassenberg (Inschrift: „Friedhof der Jüdischen Gemeinde Wassenberg/Synagoge der Jüdischen Gemeinde Wassenberg, zerstört 10. November 1938“) und ein Grab-/Gedenkstein, den der nach Kanada emigrierte Walter Reis 1992 für seine in Bergen-Belsen ermordete Schwester Betty und seine Großeltern Jacob und Johanna Hertz stiftete (Bildhauer: Ernst Brockschneider), aufgestellt.
Walter Reis' Name wurde nach seinem Tod 2005 zugefügt. Der Stein steht im Schatten eines Kanadischen Ahorns, der auf dem Grundstück von Walter Reis in Kanada gewachsen ist.
Dr. Marco Kieser vom Rheinischen Amt für Denkmalpflege, auf dessen Gutachten unser Text beruht, stellt abschließend fest: „Die Parzelle überliefert den Ort des seit dem 17. Jahrhundert belegten jüdischen Friedhofs von Wassenberg und dessen Bestattungen. Sie ist bedeutend für Wassenberg. Der Charakter als Friedhof ist angemessen gestaltet und anschaulich erhalten. Die Erhaltung der Parzelle, der Grabsteine und der Gedenksteine als Friedhof und Gedenkstätte liegt aus wissenschaftlichen, hier orts- und kulturgeschichtlichen Gründen, im öffentlichen Interesse.“
Aus dem Wassenberger Kulturausschuss heraus wurde angeregt, auch den dem jüdischen Friedhof benachbarten evangelischen Friedhof unter Denkmalschutz zu stellen sowie eventuell auch die Reste des Bunkers auf dem Burgberg, denn in der Eifel etwa gälten auch solche Befestigungswerke aus dem letzten Krieg als denkmalwert. (wer)
Heinsberger Zeitung Fr, 12. Nov. 2004 Seite 6
Das Bäumchen stammt aus dem Garten von Walter Reis, der den Holocaust überlebt hat und jetzt in Kanada lebt. Von Betty-Reis-Schülern gepflanzt.
Wassenberg. Ein kleiner Ahorn-Baum auf dem jüdischen Friedhof bildet seit dem 10. November 2004 eine weitere Brücke zwischen Wassenberg und Kanada, dem Wohnort von Walter Reis, einziger überlebender des Holocaust auch in Wassenberg. Dieser 66. Gedenktag, der an das Niederbrennen der Wassenberger Synagoge im Jahre 1938 erinnert, bleibt ein besonderer Gedenktag.
Die Klasse 8.3 der Betty-Reis-Gesamtschule – auch „Ahorn“-Klasse genannt – pflanzte mit vereinten Kräften in unmittelbarer Nähe des Grabsteines der Familie Reis den kleinen Baum, der aus dem Garten von Walter Reis in Kanada stammt. Barbara Kaiser, die frühere Didaktische Leiterin der Betty-Reis-Gesamtschule, brachte ihn im September 2001, wenige Tage nach dem Terror-Angriff auf New York, von einer Besuchsreise bei Familie Reis mit nach Wassenberg. In ihrem Garten bekam der Setzling Wurzeln, schlug aus und bildete die typischen Ahorn-Blätter, die auch in der Nationalflagge Kanadas zu sehen sind.
Zusammen mit ihrem Lehrer Sepp Becker und Karl-Heinz Geiser vom Heimatverein Wassenberg gruben die kräftigsten Jungen der Klasse das Pflanzenloch im harten Wiesengrund. Das Bäumchen soll hier zum Baum werden und zusammen mit den vielen kleinen Steinen auf dem Grabstein der Familie Reis ein bleibendes Zeichen der Erinnerung und des Friedens sein.
Gedenkstätte
Im Anschluss an die Pflanzung besuchten die Schüler und Schülerinnen die Gedenkstätte in der Synagogengasse, in der eine Tafel an den Standort der am 10. November 1938 niedergebrannten Synagoge erinnert. Die endgültige Sicherung des Mauerrestes und die Gestaltung einer Erinnerungsstätte ist das besondere Anliegen von Bürgern der Stadt Wassenberg, die besorgt sind nach dem Abbruch zahlreicher Häuser als Folge von Bergschäden im Vorjahr. Karl-Heinz Geiser erinnerte bei diesem Gedenken an die Ereignisse des 10. November 1938, als auch Schulkinder an die rauchenden Trümmer geführt wurden, um ihnen das Auslöschen der jüdischer Mitbürger und ihres kleinen Bethauses zu demonstrieren.
Mit der Klasse 8.3. kamen am gleichen Tag noch mehrere Klassen der Betty-Reis-Gesamtschule zum Gedenktag in die Synagogengasse. (k.kli.)
Karl Lieck aus Wassenberg schickte Walter Reis (Reece), dem älteren Bruder von Betty Reis, Anfang 2002 ein Exemplar der von ihm herausgegebenen Plattdeutschgeschichten. „Zwischen uns begann ein reger freundschaftlicher Schriftverkehr, wobei ich spürte, dass Walter sich gerne an seine Kindheit in Wassenberg erinnerte“, so Karl Lieck, der Wassenberg aktuell gerne den Brief von Walter Reis aus Kanada vom 5. März 2002 zur Verfügung stellt:
„Lieber Herr Lieck,
Sie machten mir eine große Freude mit Ihrem Buch „Plattdütsch en et Wasseberjer Lank“. Da mein Elternhaus in der Brühl war, machte mir die Erzählung von Käthe Stolz-Theissen besondere Freude.
Der Bruder von Käthe, Theo und der Bruder von Jupp Pickartz, Ludwig, waren meine Spielgefährten in der Brühl. Käthe sagt es richtig, wie wir als Kinder vor der Nazizeit spielten: „Die Kenger spellde met oss un wir li-epen doa all enn un uut.“
Bei gutem Wetter spielten wir Jungen Fußball auf der Landstraße und im Winter liefen wir Schlittschuh auf dem Gondelweiher oder im Judenbruch. Wir kannten kaum einen Unterschied zwischen uns jüdischen Kindern und unseren katholischen Nachbarn. Es war natürlich für uns, dass wir zu Weihnachten Weihnachtslieder mit unseren Nachbarn sangen und die Kinder Matzen von uns zu Ostern bekamen.
Mir fällt ein Vorfall ein, der, wie ich glaube, in Ihr Buch passen dürfte: Meine Schwester Betty und ich gingen in die evangelische Volksschule. Da kamen auch mehrere Kinder von kleinen Dörfern wie Krickelberg, Vogelsang usw. in unsere Schule.
Ich war vielleicht schon im 5. oder 6. Schulgrad, als nach Ostern neuer Zuwachs in die Schule kam. Da bekamen wir ein kleines Mädchen aus einem der Dörfer, das überhaupt kein Hochdeutsch sprechen konnte. Unser Lehrer war nett zu dem Kind und sprach zu dem Mädchen freundlich, denn ich glaube, es hatte Angst. Als der Lehrer das Mädchen fragte „Was möchtest Du denn gerne tun?“ war die Antwort „Müllke stu-ete!“
Ich und die anderen Schüler, die gut Plattdeutsch sprachen, wussten nicht, was Müllke stu-ete heißt, und der Lehrer überhaupt nicht. Dies wurde dann von anderen Kindern aus den Dörfern übersetzt und ich glaube, der Lehrer sagte: „Das dürfen wir in der Schule nicht. Jedoch es ist sehr nett, dass Du dies sagst.“
Nach all den Jahren habe ich dies nicht vergessen und Ihr Buch brachte diesen Vorfall wieder gut in meine Erinnerung. ..................
.................und völl Jrööß ut Pickering to Wasseberch, Walter Reece.“
Walter Reis (1920 — 2005) übermittelte seinem Freund Alex Salm aus Wegberg, mit dem er als Kind zusammen Hebräisch lernte, 1999 ein Tonband mit seinen Kjndheits- und Jugenderinnerungen. Er schildert unter anderem, wie seine Familie in der Nazi-Zeit immer mehr in große Not geriet.
Daran erinnert sich auch Karl Lieck: „Unsere Familie wohnte seit 1935 in der Oberstadt am Stadtrain, zuvor in der Brühl. Dort lebte auch die jüdische Familie Reis. Ich erinnere mich, dass der Vater von Walter und Betty Reis - Wilhelm Reis - in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg als Hausierer regelmäßig mit seinem Fahrrad zu uns kam. Ein großer Korb war geüllt mit Schnürsenkeln, Gummiband und sonstiger ‚Winkelsware‘, die er feilbot. Viel konnte er als Hausierer bestimmt nicht verdienen, aber die Not trieb ihn dazu.
Nachbarn unterstützten die Familie heimlich
Daneben hatte die Familie Reis, wie Walter Reis berichtet, einen großen Garten, so dass seine Mutter einiges Obst und Gemüse an einen Obsthändler, bei dem sie früher Kunde war, verkaufen konnte. Aber auch liebe Nachbarn unterstützten sie heimlich, wie mir Käthe Stolz, geb. Theißen, sagte.“
Aus Krefeld ins ländliche Wassenberg
Walter Reis erklärt in seinem Bericht: „Wir waren sehr arm um die Zeit!“ Aus gewiss glücklicheren Tagen schrieb Walter Reis im Jahr 2002 an Karl Lieck. Seine Großmutter Johanna Hertz, geborene Roosen, stammte aus Krefeld. Als sie Ende 1870 von der Großstadt Krefeld in das ländlich-bäuerliche Wassenberg kam, schrieb sie ein Gedicht über ihre neue Heimat:
Wassenberg
Und regnet es in Wassenberg, dann gibt es auch viel Wasser.
Und regnet es in Wassenberg, dann ist es auch viel nasser
als in der Stadt, wo Trottoir (Bürgersteig) und schöne Pflaster sind.
Hier plasteret für gewöhnlich nur die Kuh, das Kalb, das Rind.
Und was das für ein Pflaster ist, das malt ihr gar nicht aus.
Denn fällt man drin, so bringt man gleich die Landschaft mit nach Haus.
(Karl Lieck)
Wie selbstverständlich das Zusammenleben der jüdischen Mitbürger mit den übrigen Bewohnern Wassenbergs vor der Nazizeit war, mag der Brief verdeutlichen, den der einstige „Bröhler Jong“ Walter Reis einmal vor Weihnachten an die Familie von Karl Lieck schrieb:
„Meine Schwester Betty und ich und unser Vetter Heinz Hertz gingen in Wassenberg in die evangelische Volksschule. Wochen vor Weihnachten wurden dann die Weihnachtslieder in der Schule geübt und bis heute kenne ich noch die meisten - und oft mit allen Strophen. Einige Tage vor Weihnachten gingen wir Jungens in einen kleinen Wald bei der Eisenbahnlinie und suchten uns den besten Baum aus. Nach dem Absägen des Baumes trugen wir den großen Tannenbaum auf unseren Schultern zu der evangelischen Kirche.
Wir sangen dann Weihnachtslieder und die Leute kamen aus den Häusern heraus und hörten uns zu. Dann wurde der Baum aufgestellt und die Mädchen kamen dann auch und halfen beim Beschmücken des Baumes, Damals war das mit Kerzen, die dann am Weihnachtsabend den Tannenbaum beleuchteten. Der Tannenbaum reichte fast bis an die Decke der kleinen Kirche.
Am Heiligen Abend gingen wie alle dann, auch die jüdischen Kinder, in die Kirche und sangen begeistert die Weihnachtslieder, Ich weiß noch, dass ich den Blasebalg an der Orgel mit dem Fuß bediente, weil der Lehrer die Weihnachtslieder spielte. Nach der Feier wurden wir Kinder beschenkt. Oft bekamen die evangelischen Kinder ein Gebetbuch oder ein religiöses Liederbuch. Wir drei jüdischen Kinder bekamen ein anderes Buch oder eine Süßigkeit.
Am Weihnachtstag besuchten wir dann manche Nachbarhäuser. Man ließ uns in die gute Stube, wo der Weihnachtsbaum stand. Wir sangen Weihnachtslieder und erhielten Plätzchen und Süßigkeiten. Es war Sitte, dass man zuerst zu den älteren Nachbarn ging.
Wir zu Hause hatten keinen Weihnachtsbaum, denn wir feierten Hanukah, was meistens um die selbe Zeit wie Weihnachten war. Wir zündeten dann die Hanukah-Kerzen an: Am ersten Feiertag nur eine, bis dann am achten Tag acht Kerzen. Ich erinnere mich, dass mein Vetter Heinz, Theo Jansen und ich versuchten, die Kerzen so lange wie möglich brennen zu lassen. Das waren oft viele Kerzen, denn mein Vater‚ mein Onkel Karl Heitz (Hertze Karl genannt), Heinz und ich - alle hatten unsere eigenen Hanukah-Kerzen. Unsere Kinderkerzen waren nicht auf einer Menorah, sondern auf einfachen Bleileuchtern. Als wir mit dem letztem Flackern der Kerzen spielten, schmolz das Blei und brannte den Holztisch an. Natürlich war das das Ende unseres Spielens mit den Kerzen.
Als wir zehn, zwölf Jahre alt waren, war der feste Glaube an den Zinter Kloas nicht mehr da. Wenn er dann die Brühlstraße herunter kam mit dem schwarzen Peter, liefen wir frechen Buben ihm nach und riefen „Zinter Kloas hält Jeetebeen!“ Dann sprangen wir über den Wassergraben, so dass uns der schwarze Peter nicht fangen sollte. Hans Jansens Sprung war zu kurz und er kam mit einem Fuß in den Wassergraben, jedoch er entkam dem schwarzen Peter.
Völl Jrööß van Pickering nach Wasseberch, Ihre Ellen und Walter Reece.“
Schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts lebten in Wassenberg jüdische Mitbürger.
Das Zusammenleben war durch wiederholte Repressalien und Verfolgungen nicht immer unproblematisch, doch waren sie stets in das kleinstädtische Leben Wassenbergs integriert.
Dies änderte sich radikal durch die Gewaltherrschaft der Nazis, die nur wenige Wassenberger Juden überlebten.
Die Arbeitsgemeinschaft „Jüdisches Leben“ befasst sich mit dem Schicksal unserer jüdischen Mitbürger, damit es nicht in Vergessenheit gerät und uns eine Mahnung zu Toleranz und Nächstenliebe bleibt.
Karl Lieck
Im Heimatverein Wassenberg ist ein Arbeitskreis aktiv, der die Spurensuche ehemaligen „jüdischen Lebens“ betreibt. Der Verdienst der Mitglieder zur Aufklärung spiegelt sich auch wider in der Broschüre „Historischer Altstadtrundweg“ der Stadt Wassenberg. So gehören die Standorte der ehemaligen Synagoge wie des jüdischen Friedhofs als Stationen zum historischen Altstadtrundweg.
„In Wassenberg gibt es heute keine jüdischen Mitbürger mehr. Die meisten Wassenberger Juden sind in Konzentrationslagern umgekommen. Betty Reis, unsere Wassenberger ,Anne Frank‘, ist im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet worden“, beschreibt Sepp Becker, Vorsitzender des Heimatvereins Wassenberg, den „Früher und Heute-Zustand“ am Beispiel der Familie Reis. Mit dem Namen Reis kann exemplarisch das Schicksal der ehemaligen jüdischen Mitbürger in Wassenberg aufgezeigt werden.
Das Buch „Wassenberg – Geschichte eines Lebensraumes“ von Heribert Heinrichs widmet der Autor „dem Andenken des ermordeten jüdischen Wassenberger Mädchens Betty Reis, stellvertretend für die Vernichtung der jüdischen Mitbürger Wassenbergs“.
Auf Seite 423 bis 432 beschreibt er jüdisches Leben, von den Anfängen (beurkundet 1321) bis zu den letzten Lebenszeichen um 1942 und was aus der kleinen jüdischen Gemeinde wurde, die 1937 genau 27 Mitglieder stark war. Sowohl Heinrichs wie auch Karl Lieck in der Broschüre „Walter Reis – Kindheit und Jugend“ stützen sich auf Tonbandprotokolle von Walter Reis (1920–2005), dem Bruder von Betty Reis. Walter Reis überlebte als einziger seiner Familie den Holocaust.
Wer sich auf die Spurensuche des ehemaligen jüdischen Lebens begibt, findet nur noch wenige Anhaltspunkte. Selbst das Wohnhaus der Familie Reis (In der Brühl/ Brühlstraße 40) wurde vor einigen Jahren abgerissen. So ist der jüdische Friedhof gegenüber dem neuen Rathaus zumindest ein Wegweiser in Bezug auf die Namen der jüdischen Familien, die in Wassenberg gelebt haben.
Die Familie Reis (Vater Willy Reis, 1880-1944; Mutter Else Reis, geborene Hertz, 1882-1944, Betty und Walter) war verwandt mit der Familie Hertz. Else Reis‘ Bruder, Karl Hertz (1886-1938), kam schon im Mai 1938 im KZ Sachsenhausen unter mysteriösen Umständen ums Leben. Ein weiterer Bruder, Max Hertz (1883- 1984), überlebte im KZ Theresienstadt und wurde zu seinem 100. Geburtstag (1983)von der Stadt Wassenberg durch den damaligen Ortsvorsteher Karl-Heinz Geiser in München geehrt.
Weitere Familiennamen, die auch auf den Grabsteinen zu finden sind, sind die der Familie Jakob und Sarah Heumann (1854-1944) sowie der ihrer Töchter Berta (1888-1944) und Adele (1891-1944), die neben dem Roßtor (ehemals im Haus 246) lebten und ein Hutgeschäft führten. Simon Heuman, Textilkaufmann, lebte mit seiner Familie an der Ecke Roermonderstraße/Synagogengasse.
Neben dem Friedhof ist die Synagoge, die im Zuge der „Kristallnacht-Ereignisse“ zerstört wurde, zumindest mit ihrem ehemaligen Standort (Synagogengasse) sicher zu benennen. Zeitzeugen haben eine Zeichnung gefertigt. In seinem Buch „Die Synagoge in Wassenberg“ beschreibt Dr. Paul Gotzen allerdings ein denkbar anderes Aussehen. Heute weist eine Tafel an den Mauerresten in der Synagogengasse auf den ehemaligen Standort hin.
In der Broschüre von Walter Reis „Kindheit und Jugend“ lässt das Tonbandprotokoll den Leser die Zeit nachempfinden, in der von den Alltagssorgen, der Isolation der Kinder Walter und Betty, der Angst und der Erwerbslosigkeit des Vaters Willy ab 1933 in der Familie Reis berichtet wird.
„In Wassenberg ist gerade mit der Nachbarschaftshilfe Zivilcourage gezeigt worden, die der Familie Reis das Überleben sichern half“, erklärt Sepp Becker. Kurz bevor die Familie Reis in die KZ-Lager verbracht wurde, habe Else Reis als Dank für die langen Jahre der Unterstützung eine „Schiller-Ausgabe“ den Nachbarn überreicht. Als Widmung hatte sie geschrieben: „Allen Nachbarn möchte ich zum Andenken an gute Nachbarschaft eine Freude machen. So auch dir Theo. Frau Reis am 15. Mai 1941“. Das Buch ist im Wassenberger Rathaus in einer Vitrine ausgestellt. (jb)
Haus Reis in Wassenberg schon seit langem baufällig. Schicksal des Gebäudes beginnt mit Jakob Hertz aus Gangelt.
Von Karin Klimmeck
Wassenberg. Mit dem schrittweisen Abbruch des Hauses Reis in der Brühlstraße geht das letzte sichtbare Zeichen jüdischen Lebens in Wassenberg zu Ende. Die behördliche Genehmigung wegen Baufälligkeit lag schon einige Zeit vor. Das Schicksal des Hauses Reis in Wassenberg beginnt mit Jakob Hertz aus Gangelt, der mit seiner Ehefrau Johanna Hertz, die aus Krefeld stammt, nach Wassenberg zog. 1881 hatten die beiden geheiratet. Sie wohnten in der Wassenberger Brühlstraße neben Josef Hertz, der später nach Gladbach übersiedelte. Die Söhne Max und Karl hatten eine Schwester namens Else, die spätere Mutter von Walter und Betty Reis. Der Vater Willi Reis stammte aus Frankfurt. Walter und Betty besuchten die evangelische Volksschule, damals in Wassenberg-Süd. Walter gelang noch im Frühjahr 1939 die Ausreise über Holland nach England und später nach Kanada. Hier verstarb er im Sommer vor zwei Jahren, seine Urne ruht im Grab seiner Großeltern auf dem jüdischen Friedhof in Wassenberg. Seine Frau Ellen hatte sie mit behördlicher Genehmigung im Flugzeug nach Wassenberg gebracht, um den letzten Wunsch ihres Mannes zu erfüllen. An seine Schwester erinnert der Name der „Betty-Reis-Gesamtschule“, die in ihrem Hauptgebäude und auf dem Gräberfeld in der ehemaligen Konzentrationsanlage Bergen-Belsen einen „geteilten“ Gedenkstein aufstellen ließ, der ein Stück lebendiges Erinnern bleiben wird.
Walter Reis und kürzlich noch einmal seine Witwe Ellen Reis aus Kanada besuchten des öfteren das Geburts- und Wohnhaus der Familie in der Brühlstraße. Max Hertz, der Onkel der beiden Reis-Kinder, verstarb im Alter von 101 Jahren an seinem Wohnort bei München.
Karl Hertz, der Bruder und Onkel, kam schon früh in einem Konzentrationslager um. „Auf der Flucht erschossen“ lautete die lapidare Mitteilung an seine Familie. Willy und Else Reis, geb. Hertz, kamen im Konzentrationslager Auschwitz um. Eine sichtbare Erinnerung ist der Gedenkstein auf dem Judenfriedhof in der Roermonderstraße.
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