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Sänger: Karl Lieck

Wassenberg1420

 

Rede von Herrn Landrat Pusch anlässlich des 120jährigen Bestehens des Heimatvereins Wassenberg, 4. November 2017

Foto: Hermann-Josef Heinen
Foto: Hermann-Josef Heinen

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde.“ Der Philosoph Karl Jaspers beschreibt damit einen Begriff, der jedem von uns geläufig ist, den jeder aber für sich anders begreift und auslegt. Fest steht jedoch, dass der Begriff der „Heimat“ für jeden Menschen eine Bedeutung hat.

In Zeiten der Migration und der Wanderungsbewegungen bekommt der Begriff „Heimat“ eine neue Wertigkeit, und wir tun gut daran, das Thema „Heimat“ auch vor diesem Hintergrund aktuell zu diskutieren. Die „Heimat“ war den Menschen immer wertvoll. Vor 120 Jahren äußerte sich dies in Wassenberg mit der Gründung des Heimatvereins, dem ich zu diesem Jubiläum herzlich gratulieren möchte.

Der unvergessene Heribert Heinrichs schrieb vor 20 Jahren in seinen „Gedanken zu einem Jubiläum“ – ich darf zitieren: „Am wichtigsten scheint mir der Wertewandel in unserer Gesellschaft, der bei vielen den Begriff ‚Heimat‘ an den Rand gedrängt hat.“ Er hat in vielen seiner Gedanken, die diesem Satz folgten, Recht behalten. Nachzulesen in der Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Heimatvereins Wassenberg.Heinrichs Worte gelten aber auch heute – wenn auch wieder unter verschobenen Vorzeichen – immer noch. Mahnte Heinrichs anno 1997 noch die zunehmende Mobilität und die Ent-Fernung vom heimatlichen Drumherum an, so kommen 20 Jahre später andere Ent-Fernungen von der Heimat hinzu. „Ich bin in Facebook zuhause“, gestand mir letztens ein Mensch von Anfang 30.

Er betrachtete das Netz und die sozialen Netzwerke als seine Heimat. Da erfahre er alles, da habe er seine Freunde, da könne er alles sehen und erfahren, was ihn interessiere. Und wie selbstverständlich nutzt er das Navigationsgerät im Auto, wenn er ins übernächste Nachbardorf fährt.

Natürlich nutze auch ich die sozialen Netzwerke, bin stolz auf den gelungenen Facebook-Auftritt des Kreises Heinsberg. Doch Heimat ist etwas anderes.

Im Übrigen hat nicht umsonst ein kleiner Wettbewerb auf der Kreis-Heinsberg-Facebook-Seite übergroße Aufmerksamkeit erhalten, als die User aufgefordert wurden, ihr Lieblingsplätzchen im Kreis Heinsberg zu zeigen. Die fünfstelligen Zahlen erreichter Facebook-User haben mir gezeigt: Auch heute hängen die Menschen an ihrer Heimat, hängen am Kreis Heinsberg und seinen Städtchen, Orten und Dörfern.

Wo ist die Erklärung? Der 2005 verstorbene Hanns Dieter Hüsch gibt vielleicht eine: „Der Niederrhein, denk ich immer, macht einem nix vor. Da gibbet keine kalkulierte Romantik, sondern eine Musik aus Vergessen und Erinnern und daraus entsteht dat Gefühl, am Ende der Welt, am Ende aller Tage zu sein. Wer Phantasie studieren möchte, der sollte ein paar Stunden an den Niederrhein kommen. Burgen gibt’s, Schlösser gibt’s und Wasserschlösser, Windmühlen und auch Wassermühlen und Kirchturmspitzen.“

Trifft bezeichnenderweise auch auf Wassenberg und Umgebung zu. Logisch, ist ja südlichster Niederrhein. Aber eben Niederrhein. „Heimat ist da, wo ich verstehe und verstanden werde.“ Das Jaspers-Wort unterstützt natürlich auch den, der Facebook als seine Heimat ansieht. Aber ist das alles, was „Heimat“ bedeutet? Hüsch hebt den Heimatbegriff nicht umsonst auf eine fast metaphysische Ebene, zumindest aber auf eine Gefühlsebene.

Aber genau dies ist die Melange aus Landschaft, Familie und Freunden, aus Vertrautem und Vergessenem. Der Blick auf die Kirchturmspitze, auf den Burgberg. Der Weg durch die Stadt, durch Gässchen und über Plätze. Vertraut und unverändert und doch jeden Tag anders. Da kann man gerade hier in Wassenberg täglich so erleben.

Ja, Heimat ist ein Gefühl. Oder wie der Schriftsteller Horst Bienek sagte: „Heimat kann man nicht vererben. Sie ist in meinem Kopf. Und sie ist in meiner Seele.“

Meine Damen und Herren,

wir dringen mit diesem Ausspruch langsam vor zum Kern des Heimatbegriffs vor und damit auch zu dem Antrieb, der Menschen veranlasst, sich mit „Heimat“ zu beschäftigen.

Im alten Wassenberg, das sicherlich nicht einer gewissen Romantik entbehrte, schlossen sich 1897 Menschen zusammen, um eben jenes Wassenberg zu… zu… Ja, zu was eigentlich? Zu fördern? Zu entwickeln? Zu bewahren? Zu verschönern? Zu verbessern?
Ich denke, dass es von allem etwas war, was den Gründern des Heimatvereins vorschwebte. Natürlich galt Wassenberg als – ich benutze jetzt einmal ein herrlich altmodisches Wort – „Sommerfrische“, was dann Jahre später gesteigert wurde, als die Stadt den Rang eines „Luftkurortes“ erlangte. Ein Rang, der angesichts der enormen Luftverschmutzung in den Zentren der aufkeimenden Industrialisierung an Rhein und Ruhr, ebenso wichtig wie wertvoll war.

Heute würde man von einem bedeutenden Standortfaktor sprechen. Und so dienten schon die Gründer des Heimatvereins Sachen, die wir 120 Jahre später als „weiche Standortfaktoren“, als „Alleinstellungsmerkmale“ oder „Wohnumfeldverbesserung“ sowie „Standortmarketing“ bezeichnen würden.

Es ging dem Heimatverein schlicht und einfach darum, den Ort, den man als gemeinsame Heimat ansah, sehenswert, lebens- und liebenswert zu erhalten und entsprechend – wenn nötig – weiter zu entwickeln. Das umfasste die Sehenswürdigkeiten, die Straßen und Häuser und auch die umgebende Natur. Mit diesem ganzheitlichen Ansatz war der Heimatverein Wassenberg schon 1897 sehr modern.

Dies zeigt auch, dass wir 120 Jahre später die Idee der Heimatvereine nicht begraben sollten. Im Gegenteil. Mit ihren Zielsetzungen sind Heimatvereine wichtig und modern. Wir brauchen sie, um unsere regionale Identität zu definieren und um das, was uns lieb und teuer ist, zu bewahren und für zukünftige Generationen zu erhalten.

Kultur, Natur, Geschichte, Architektur, Tourismus, Volkskunde – das sind Themenfelder, die von den Heimatvereinen bearbeitet werden. Darüber hinaus haben sie mit ihren vielen Veranstaltungen, Vorträgen, Fahrten und Wanderungen eine hohe soziale Kompetenz und sind für manche Ortsgemeinschaft eine wichtige Klammer.

Es hat mich traurig gestimmt, als wir vor einigen Monaten die „Volkskundliche Abreitsgemeinschaft des Kreises Heinsberg“ – kurz VAG - auflösen mussten. Viele treibende Kräfte sind inzwischen verstorben, die übrig Gebliebenen wurden ebenfalls nicht jünger und der Nachwuchs: er blieb aus. Bei der VAG war ein wichtiges Betätigungsfeld die Mundart. Die echten Mundartler sterben leider Gottes aus. Und nur noch wenige der Jüngeren sind mit echtem Platt, das von Dorf zu Dorf anders gesprochen wurde, groß geworden. Wobei man das echte Platt hier bitte nicht mit dem weit verbreiteten rheinischen Idiom verwechseln sollte.

Und dann war irgendwann der Punkt erreicht, wo der Verein seine Aktivitäten einstellen musste. Ich betrachte das als Verlust. Ein Verlust, der unsere Region schon sehr trifft.

Meine Damen und Herren,
ein besonderer Jahrestag, wie das 120jährige Bestehen, ist immer daher ein Anlass, einen Ausblick zu wagen. Ich behaupte: Wir werden die Heimatvereine weiter brauchen.

Zumal in Wassenberg – nicht zuletzt auch dank der Betty-Reis-Gesamtschule – ein besonderes Geschichtsverständnis vorherrscht. Aber mit der Schule sollte das Interesse für das, was Wassenberg ausmacht, nicht beendet sein. Und wenn die Jüngeren nach Sturm- und Drangzeit, nach den Wanderjahren der Ausbildung, Berufsfindung und Familiengründung ihre Wurzeln in Wassenberg finden, dann wäre es schön, wenn sie sich für dieses wunderbare Stück Heimat einsetzen würden.
Damit der Ort, in dem man lebt, zur echten Heimat wird. Ein Ort mit Gefühl und mit Seele. Ein Ort, an dem man sich zuhause und geborgen fühlt. Ein Ort, den man versteht und in dem man verstanden wird.

Dafür lohnt sich der Einsatz, denn sonst würden unsere geschichtsträchtigen Orte im Grünen bald zu den gleichen geschichts- und seelenlosen, ewig gleich aussehenden Vorstädten amerikanischer Prägung werden. Reine Wohnareale, austauschbar, beliebig und immer tiptop gepflegt. Wo der Rasenmäher und der Laubsauger die Umgebung definieren und das Straßenschild das einzige ist, was Orientierung bietet.

Wir sind es unseren jahrhundertealten Orten, wir sind es unserer Siedlungs- und Kulturgeschichte, die mit der Steinzeit begann über Bronzezeit, Römerzeit, Mittelalter bis in die Jetztzeit führt, wir sind es den Menschen, also uns selbst schuldig, uns um unsere Heimat zu kümmern. Ganz in dem Sinne des Horst Bienek. Ich wiederhole das Zitat gerne noch einmal: „Heimat kann man nicht vererben. Sie ist in meinem Kopf. Und sie ist in meiner Seele.“

In diesem Sinne wünsche ich dem Heimatverein Wassenberg, aber auch allen anderen gleich und ähnlich tätigen Vereinen im Kreis Heinsberg alles Gute, insbesondere für die Zukunft. Machen Sie weiter!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Geschäfts-, Fahrten- und Spendenkonto des Heimatvereins Wassenberg e.V.:  
Kreissparkasse Heinsberg ● IBAN DE03 3125 1220 0002 2043 60 ●  BIC WELADED1ERK